Wie im Kino – We Are Visible in LA
Von Karina Sturm.
Der 12. Januar 2020 war ein großer Tag für mich und meine Arbeit. Vermutlich der bisher Wichtigste. An diesem Tag sollte ’We Are Visible’ zum ersten Mal in den USA vor einem größeren Publikum gezeigt werden. Und das auch noch in der Nähe der Stadt, die für Hollywoodstreifen bekannt ist: Los Angeles.
Als Sprecherin in Orange, Kalifornien.
150 Menschen – hauptsächlich Familien mit EDS – hatten sich für das Screening angemeldet und ich wurde eingeladen, um vor all diesen Menschen zu sprechen. Bislang hatte ich nur Vorträge in meiner Muttersprache, Deutsch, gehalten, weshalb ich ziemlich nervös war und meine Rede über Wochen geübt hatte.
Meine tapferen Begleiter.
Mein Mann Markus und zwei meiner besten Freunde, Frank und Brent, haben mich nach Los Angeles, genauer Orange/Anaheim begleitet und emotional unterstützt. Vor der Abreise hatten sich bereits große Probleme mit meiner Wirbelsäule angekündigt und so verbrachte ich die ersten zwei Stunden nach der Ankunft im AirBnB in Stufenlagerung weinend auf dem Boden meines Schlafzimmers.
Dankbar für meine Freunde.
Während ich dank der Rückenschmerzen erst einmal außer Gefecht war, ging mein Mann mit Brent zum Einkaufen. Frank blieb bei mir und massierte meine Füße. Zur Aufmunterung brachten die beiden Einkäufer mir einen Teddy mit und wieder einmal bin ich dankbar für meine Freunde, die immer verstehen, wenn mein Körper nicht das tut, was mein Kopf ihm sagt.
“The show must go on.”
Zwei Tage später war das Screening und obwohl ich die Nacht zuvor mit schweren Rückenschmerzen und daraus resultierende gastrointestinalen Beschwerden zu kämpfen hatte, musste ich auch mit nüchternem Magen bei der Veranstaltung erscheinen. Chapman University hat einen tollen Campus mit Springbrunnen, teuer aussehenden Gebäuden und natürlich Palmen – viele Palmen.
Die liebe Technik.
Zwei Stunden vor dem Screening ist die Technik noch nicht aufgebaut. Eigentlich wollten wir am Vortrag alle Geräte ausprobieren, doch leider war keiner der Technikmenschen zu dem Zeitpunkt vor Ort. Und natürlich funktionierte der Projektor heute nicht und ich starre in fragende Gesichter. “Wir sind bereits weit über normales Troubleshooting hinaus”, sagt mir ein Mitarbeiter.
Ich kämpfe mit den Tränen.
“Ausgerechnet heute!”, denke ich mir. Die ersten Leute sind bereits angekommen. Ich versuche meine Nervosität zu verdrängen und begrüße viele persönlich. Manche umarmen mich und danken mir für den Film bevor sie ihn überhaupt gesehen haben. Andere fragen nach einem Foto mit mir zusammen. Ein seltsames Gefühl. Einer der Techniker fragt mich, ob wir in einen anderen Raum umziehen können. Ich frage ihn, ob der Raum barrierefrei ist. Er sagt: “Ein paar Stufen hat der schon.”
Das war wohl nichts.
Auch um 14 Uhr, als die Filmvorführung beginnen sollte, funktioniert die Technik nicht. Mittlerweile bin ich sauer. Ein Plan B muss her. Die Techniker bringen eine kleinerer Leinwand und einen neuen Projektor. Der Sound ist nicht besonders gut, aber es hilft alles nichts. “The show must go on.”
Es ist Zeit für meine Einleitung.
Ich sitze am Rednerpult und zittere ein wenig. Die Probleme mit der Technik haben mich von meiner Nervosität über meine Rede abgelenkt. Ich beginne mit Danksagungen an die Organisatoren Beth Haller und Art Blaser, zwei Professoren aus dem Bereich “Disability Studies” und “Social Studies” und erzähle dann ein bisschen aus meinem Leben. Ich sehe eine Person weinen.
Der Film startet.
Etwas zu spät beginnt die Filmvorführung. Ich entdecke eine Zuschauerin, die gerade erst kommt und begrüße sie. Sie erzählt mir, dass sie ihre Parkgenehmigung vergessen hat und zurück zum Auto muss. Ich nehme ihr das Stück Papier ab und mache mich auf den Weg in die Tiefgarage.
Der Schock.
Als ich fünf Minuten später wieder im Veranstaltungsraum ankomme, blicke ich in ein düsteres Gesicht. Brent ist aus seinem Sitz aufgesprungen und motzt den Techniker an, der am Projektor rumwerkelt. Ich erfahre, dass der Ton ausgefallen war. Mir wird wärmer und wärmer und ich kämpfe erneut mit den Tränen.
Es geht weiter.
Nach kurzer Zeit ist das Problem gelöst und der Film läuft weiter. Von da an gibt es keine Störungen mehr und die restlichen 60 Minuten höre ich immer wieder kleine Lacher und viele schniefenden Menschen. Vor allem Denises Geschichte und die von Jojo nehmen das Publikum mit.
Applaus.
Am Schluss erlebe ich etwas, dass ich so bisher noch nicht kannte. Nicht nur höre ich, wie 90 Menschen applaudieren, sondern zum ersten Mal darf ich dabei in all die Gesichter schauen, die zu meiner Überraschung recht zufrieden aussehen. Es ist ein ganz besonderes Gefühl die emotionalen Reaktionen auf etwas zu sehen, an dem ich so lange Zeit gearbeitet habe. Dieser Moment hat alle negativen Ereignisse verblassen lassen.
Fragen über Fragen.
Nun ist es Zeit für mein Q&A und ich bin weniger nervös als erwartet. In englisch Fragen zu beantworten fand ich anfangs gruselig, aber nachdem wirklich alle Zuschauer so unterstützend waren, verlor ich schnell meine Hemmungen und beantwortete jede Frage ganz offen.
Networking.
Was mich allerdings am meisten überrascht hat, war was nach dem Q&A passiert ist. Als die letzte Frage beantwortet war, sind die meisten Zuschauer nicht nach Hause gegangen, sondern haben in einer kleinen Warteschlange gestanden, um mir persönlich zu danken, mit mir zu plaudern, und Bilder zu machen. Am meisten bewegt hat mich die Geschichte einer Mutter, die ohne ihre Tochter auf dem Event war. Sie weinte und zitterte während sie mir von deren Schicksal erzählte.
Austausch ist wichtig.
Doch nicht nur mit mir wollten die Menschen reden. Sie haben sich auch untereinander ausgetauscht und ich hatte das Gefühl, dass viele neue Freundschaften geknüpft wurden. Und mit all diesen positiven Gefühlen, verblasste der etwas holprige Start zum Glück schnell und ich freue mich auf viele weitere solcher Veranstaltungen.
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