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Reisen während der Pandemie: Chronisch krank und Fliegen

Karina, eine Frau mit super kurzen braunen Haaren trägt ein Face Shield, eine Laborbrille und drei Masken übereinander.

Von Karina Sturm.

Seit über sechs Monaten bin ich in COVID-Isolation. Im Oktober breche ich meine Quarantäne und reise nach Chicago. Wie gefährlich Fliegen während einer Pandemie ist und wie sich Reisen generell als chronisch kranker Risikopatient anfühlt, das erzähle ich euch im heutigen Blogpost. 

Ich sitze an Gate D3. 

Um meine Nerven zu beruhigen, google ich zum hundertsten Mal das COVID-Risiko beim Fliegen. Lesen kann ich allerdings gerade nur schlecht. Alle Buchstaben sind verschwommen und ich kann meinen Kopf nicht wirklich nach unten neigen, denn ich trage neben einer Laborbrille außerdem ein Face Shield, das das Licht ganz seltsam reflektiert. Außerdem verhüllen drei Masken mein Gesicht, was meinen Blick noch weiter einschränkt und dazu führt, dass ich etwas schwerer atme als sonst. 

Ich bin dehydriert, weil ich meine Masken nicht abnehmen will.

Zusätzlich wird mir schlecht, wenn ich zu lange auf mein Display starre. Seit Stunden habe ich nichts getrunken, um die Maske nicht abnehmen zu müssen. Ich beschließe mich abzulenken und die Menschen um mich herum zu begutachten. Da ist der ‘Ich-trage-meine-Maske-unter-der-Nase’-Mitt-40er. Und die typische ‘Wer-braucht-schon-überhaupt-eine-Maske’-20-jährige, die prompt von einer ganz strikten Maskenträgerin, die ähnlich viele Schichten wie ich trägt, beim Personal verpetzt wird. Der nette Servicemitarbeiter fordert die junge Frau freundlich auf die Maske doch bitte über Nase und Mund zu haben – nicht diese von einem Ohr nach unten als Wangenschutz baumeln zu lassen. Sie verdreht die Augen, aber leistet Folge. Nur wenige Minuten später hängt die Maske vom anderen Ohr… 

Abstand, Abstand, Abstand.

Ich positioniere mich so, dass ich in alle Richtungen viele Meter Abstand zu vor allem den eher wenig smarten Maskenträgern halte. Abnehmen musste ich meine Sicherheitsmaterialien nur kurz während der Security. Anders kann man da leider nicht erkennen, welcher Mensch unter all dem Stoff steckt. Direkt nach der Sicherheitskontrolle rannte ich in die nächste Toilette, um Hände zu waschen, zu desinfizieren, dann meine Masken zu adjustieren und – weil ich die Masken angefasst habe – erneut Hände zu waschen und zu desinfizieren. 

Fake-Normalität?

Während einer Pandemie am Flughafen zu sein und zu sehen, wie viele Menschen gerade schon fast zur Normalität zurück sind und an ihrem Kaffee nippen oder essen, ist ein komisches Gefühl. Doch nun gehöre auch ich zu der Gruppe Leute, die ich bis vor wenigen Wochen noch skeptisch beäugt habe. Aus privaten Gründen entschloss ich mich dazu das Risiko auf mich zu nehmen und nach Chicago zu reisen, um Familie zu besuchen. Sechs Monate lang – seit Mitte März – war ich in San Francisco in strikter Isolation. In all den Monaten sah ich genau zwei Freunde – draußen, auf Distanz und mit Maske. Sozialkontakte hatte ich sonst nur über Skype und Zoom. Post, Lebensmittel und alles was in die Wohnung kam, wurde desinfiziert. Draußen war ich nur für meine täglichen Spaziergänge in der Nachbarschaft. 

Und nun sitze ich hier, am Flughafen.

Ich frage mich, warum ich dieses Risiko auf mich nehme. Obwohl ich mich mit Maske relativ sicher fühle und auch wenn ich die Bedrohung auf ein Minimum reduziert habe, bleibt trotzdem immer ein Restrisiko, denn ich kann nicht alle Menschen um mich herum kontrollieren. Außerdem fühle ich mich als würde ich meine Community – alle Menschen mit chronischen Krankheiten – betrügen. Eigentlich wollte ich diese Pandemie so sicher wie nur möglich durchstehen und mich so verhalten, wie ich es mir von meinen Mitmenschen wünschen würde. Doch manchmal passieren unerwartete Dinge im Leben und obwohl ich meinen Trip gut geplant habe, bin ich richtig nervös. 

Sicherheitsmaßnahmen.

Dreimal checke ich auf meinem Mobiltelefon, ob auch wirklich niemand neben mir sitzt. Ich habe meinen Flug mit Alaska gebucht, die versichert haben, dass das Flugzeug nur halb voll sein wird. Zusätzlich habe ich mir ein First-Class-Ticket gegönnt, da Fliegen gerade recht günstig ist. Dann geht es los. Boarding. Das Flugzeug wird von hinten nach vorne gefüllt. Eine schlaue Idee, die auch vor COVID sinnvoll gewesen wäre. Jeder hält sich an den Sicherheitsabstand – so lange bis sie das Flugzeug betreten und plötzlich stehen die Passagiere Hintern an Hintern. Ich habe einen Fensterplatz gebucht, schalte sofort alle Lüftungen ein, desinfiziere meinen Sitz und alle Flächen um mich herum und wiederhole den ganzen Vorgang mehrfach während des Flugs. Außer mir macht das keiner. 

Ich versuche mich abzulenken.

Ich arbeite ein bisschen an meinem iPad, das ich alle paar Minuten abwische. Das ältere Paar in der Sitzreihe vor mir, trägt die Maske kaum. Sie genießen ihre Drinks und haben von vier Stunden nur zwei davon eine Maske auf. Der Mann in der ersten Reihe trägt sie gar nicht. Und auch die meisten anderen First-Class-Passagiere sind eher wenig an der Maskenregelung interessiert. Ich bin genervt. So eine einfache Regel und selbst die wird nicht eingehalten. Wenn jeder sich an diese Vorschriften halten würde, gäbe es vermutlich gar keine zweite Welle und wir könnten alle schneller zur Normalität zurück.

Nach vier Stunden lande ich in Chicago. 

Und wie vor der Pandemie springen alle Passagiere sofort auf, als das Flugzeug zum Stehen kommt. Abstand halten? Fehlanzeige. Ich sitze brav an meinem Fenster und warte auf meine Lücke – die nie kommt. Irgendwann wird es mir zu doof und ich frage freundlich, ob man mir etwas Raum geben könnte, damit auch ich das Flugzeug verlassen kann. Augenrollen. Ich spurte aus dem Flugzeug und ab in die nächste Toilette. Hände waschen, Hände desinfizieren. Mittlerweile sind meine Hände spröde vom vielen Schrubben und der trockenen Luft. 

Limo-Service.

Zügig finde ich meinen Weg aus dem Flughafen und zu meinem gebuchten Transport: Ein Fahrservice, der vor und nach jedem Gast das Auto desinfiziert. Um weiter weg vom Fahrer zu sitzen, habe ich einen SUV gebucht. Sicheres Reisen mag zwar teurer sein als vor COVID, aber wenn ich schon meine Prinzipien über Bord werfe, dann doch wenigstens mit allen erdenklichen Sicherheitsmaßnahmen, die möglich sind. (Und ja, ich habe sogar nach privaten Flugzeugen gesucht – trotz günstigeren Preisen leider immer noch mehr als zu teuer). 

Neue Routine.

Der Fahrer bringt mich zu meinem Apartment, in dem ich erstmal all mein Gepäck desinfiziere, meine Kleidung in einen Müllbeutel werfe und alle Fenster aufreiße. Ich springe unter die Dusche, bevor ich alle Flächen in der Wohnung reinige. Mittlerweile ist es dunkel draußen und ich höre Gruppen an Menschen im Restaurant unter mir lachen und feiern. Auf der einen Seite fühlt es sich vertraut an, die Normalität, doch auf der anderen Seite bin ich auch etwas angefressen. Ich fühle mich schon schlecht wegen eines Flugs. Andere trinken mit Freunden in Bars. Ich frage mich, ob ich meine Isolation zu ernst genommen habe oder ob das gerade eine Art Hüttenkollaps ist, der mich zu riskanteren Dingen verlockt? Ich bin nicht sicher. Ich weiß nur, dass der Tapetenwechsel nötig war. 

Gewissensbisse.

Viele meiner chronisch kranken Freunde, denen ich von meinen Gewissensbissen erzählt habe, haben mir gesagt, dass meine mentale Gesundheit genauso wichtig ist wie die körperliche und dass ich mit all meinen Überlegungen und Sicherheitsmaßnahmen vermutlich ein recht überschaubares Risiko eingehe. Tatsächlich sah niemand am Flughafen aus wie ich. Trotzdem hatte ich bis zum Schluss Bedenken und das mulmige Gefühl ist auch drei Tage nach dem Flug nicht verschwunden. Schließlich kann COVID eine lange Inkubationszeit bis zu zwei Wochen haben. 

Der Angstfaktor. 

Gestern habe ich zweimal trocken gehüstelt. Ich bin allergisch. Das ist normal für mich. Aber der bittere Beigeschmack bleibt trotzdem. Da ich aus einem Gebiet mit geringem Risiko in eine Stadt mit steigenden Zahlen gereist bin, muss ich keine zwei Wochen in meiner Wohnung isolieren. Sicherheitshalber halte ich mich aber trotzdem von Menschen fern. Es ist ein seltsames Gefühl hinter jeder Person ohne Maske sofort eine Bedrohung zu sehen. Und noch viel seltsamer ist es zum ersten Mal seit dem Beginn der Pandemie selbst möglicherweise eine Bedrohung für andere darzustellen…

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