Dysautonomie ist ein Überbegriff, der Krankheiten des autonomen (vegetativen) Nervensystem beschreibt. Das autonome Nervensystem kontrolliert alle unwillkürlichen (nicht selbst steuerbaren) Prozesse im Körper, wie die Verdauung oder den Herzschlag. Man unterscheidet primäre und sekundäre Dysautonomien. Primäre Dysautonomien treten ohne zugrunde liegende Ursache auf, wohingegen die sekundären Dysautonomien eine Folge einer anderen Erkrankung sind. Störungen des autonomen Nervensystem können jeden Bereich des Körpers betreffen und die Patient*innen teilweise schwer beeinträchtigen.
Formen von Dysautonomie:
- PoTS (posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom): Das PoTS ist die häufigste Form von Dysautonomie bei EDS-Betroffenen). Beim PoTS kommt es zu einem rapiden Herzfrequenzanstieg, sobald die Betroffenen in eine aufrechte Position gebracht werden. Als pathologisch wird ein Anstieg von über 30 bpm (beats per minute), wenn die Patient*innen sich von einer liegenden in eine stehende Position begeben. Auch ein Anstieg auf über 120 bpm gilt als pathologisch. Der Mechanismus des PoTS bei Patient*innen mit EDS wurde in einigen Publikationen von z. B. De Wandele et al. beschrieben. Sie vermuten, dass die Dysautonomie bei EDS aus verschiedenen Faktoren besteht, wie z. B. kardiovaskulären Problemen, einer Sudomotordysfunktion, Neuropathie, Bindegeweslaxizität und auch der Einfluss verschiedener Medikamente können zur Dysautonomie beitragen.
- Neurokardiogene Synkope (auch Neurally Mediated Syncope, Neurally Mediated Hypotension): Die neurokardiogene Synkope ist die häufigste Form der Dysautonomie und ein anderer Begriff für einen kurzfristigen Verlust des Bewusstseins. Die Ursache hierfür ist die Ansammlung von Blut in den Beinen bei aufrechter Körperhaltung.
- Multisystematrophie: Die Multisystematrophie ist ähnlich dem Parkinson und zählt zu den neurodegenerativen Erkrankungen. Sie ist außerdem eine primären Dysautonomie.
- Sinustachykardie: Die Sinustachykardie ist definiert durch einen Ruhepuls von über 100 Schlägen pro Minute ohne körperliche Anstrengung.
- Pure Autonomic Failure (PAF): Pure Autonomic Failure zählt zu den primären Dysautonomien und ist eine degenerative Erkrankung der peripheren Nerven.
- Autoimmune autonome Gangliopathie (AAG): Die autoimmune autonome Gangliopathie ist, wie der Name schon sagt, eine Autoimmunerkrankung, die sich gegen die körpereigenen autonomen Ganglien richtet.
- Autonome Dysreflexie (AD): Die autonome Dysreflexie steht im Zusammenhang mit Rückenmarksverletzungen.
- Baroreflex Ausfall: Der Baroreflex ist ein Teil der Mechanismen, die den Blutdruck stabil halten sollen. Kann die Ursache der Dysautonomie auf eine Störung des Baroreflexes zurückgeführt werden, besteht dieses Krankheitsbild.
- Diabetische autonome Neuropathie: Die diabetische autonome Neuropathie zählt zu den wohl häufigsten Formen der Dysautonomie. Hier liegt primär ein Diabetes vor, der im Verlauf zu einer Neuropathie der autonomen Nerven führen kann.
- Familiäre Dysautonomie: Diese Form der Dysautonomie ist extrem selten und genetisch bedingt.
- Reflex sympathetische Dystrophie (Complex Regional Pain Syndrome, CRPS): CRPS ist eigentlich eher eine Schmerzerkrankung, doch manche Ärzt*innen zählen dieses Krankheitsbild zu den Dysautonomien.
- Orthostatische Hypotonie (OH): Bei der orthostatischen Hypotonie fällt der Blutdruck bei aufrechter Körperhaltung und der Puls steigt kompensatorisch an. Definiert wird die OH durch einen systolischen Blutdruckabfall von 20 mmHg oder einem diastolischen Blutdruckabfall von 10 mmHg. Die orthostatische Hypotonie kommt neben PoTS ebenfalls häufig bei EDS vor.
Symptome:
Je nach Form der Dysautonomie können die Symptome den ganzen Körper betreffen. Unter anderem können folgende Symptome auftreten:
- Müdigkeit und Erschöpfung
- Schwindel und Benommenheit
- Kopfschmerzen
- Hoher Puls
- Niedriger Blutdruck
- Kurzatmigkeit
- Blasenbeschwerden (Reizblase, Harnretention, dringendes Wasserlassen)
- Gastroparese, Reizdarm
- Starkes Schwitzen oder gar kein Schwitzen
- Hitze- und Kälteintoleranz
- Kalte Extremitäten
- Übelkeit, Erbrechen
- Unscharfes Sehen
- Konzentrationsprobleme
Verdauung | Herzschlag/Blutdruck | Blase | Thermoregulation |
Gastroparese/Reizdarm | Herzrasen, niedriger Blutdruck | Harnretention | Starkes Schwitzen/gar kein Schwitzen |
Durchfall/Verstopfung | Schwindel, Kopfschmerzen, Ohnmacht | Drigendes Wasserlassen | Kalte Gliedmaßen |
Bauchschmerzen, Übelkeit | Brain Fog, Konzentrationsprobleme | Reizblase | Intoleranz gegenüber Kälte und Hitze |
Auslöser:
- Dehydration
- Körperliche Anstrengung
- Infekte
- Alkohol und teilweise Koffein
- Emotionaler Stress
- Langes Stehen
- Warme Umgebung (wie eine heiße Dusche, oder sommerliche Temperaturen)
- Große Mahlzeiten, weil vermehrt Blut im Darm gepoolt wird
Ursachen:
- Diabetes
- Multiple Sklerose
- Parkinson
- Autoimmunerkrankungen
- Alkoholmissbrauch
- verschiedene Medikamente
- Rückenmarksschäden
- Infektionen
- Bindegewebserkrankungen
- Mastzellaktivierungssyndrom
Diagnostik:
- EKG
- Echo
- Bluttests: Adrenalin, Noradrenalin, diverse Infektionskrankheiten, endokrinologische Ursachen
- Kipptischtest inklusive Vasalva Maneuver
- Schellong-Test
- Neurophysiologische Untersuchungen
- Schweißsekretionstest oder QSART
- Magenentleerungstest
Therapie:
Bei sekundäre Dysautonomien wird die zugrunde liegende Ursache behandelt. Für sekundäre Dysautonomien dessen Ursachen nicht behandelbar sind oder für alle anderen Dysautonomie-Formen, kommt ein Stufenkonzept zum Einsatz.
Konservative Maßnahme:
- Vermeidung von Triggern
- Erhöhte Salzzufuhr
- Kopf beim Schlafen erhöhen
- Wadenmuskel- und Ausdauertraining
- Kompressionsstrumpfhosen oder -strümpfe und andere Kompressionsbinden.
Medikamentöse Behandlung:
- Vasokonstriktoren wie Midodrin
- Medikamente die zur Flüssigkeitsrückgewinnung führen wie Fludrocortison
- Betablocker und andere kreislaufstabilisierende Medikamente
Notfallinformationen und Operationen bei Patient*innen mit Dysautonomie:
In Notfallsituationen sollte daran gedacht werden, dass einige Medikamente bei Dysautonomie nicht gut vertragen werden.
Darunter sind folgende:
- Vasodilatatoren
- Narkotika wie Codein, Morphin oder Oxycodon, Phenothiazine,
- Antiemetika wie Phenergan oder Compazin
- Niacin
- Nortriptylin
- Amitriptylin oder trizyklische Antidepressiva
- Epineprhin und Adrenalin
Es sollte immer darauf geachtet werden ausreichend viel zu trinken. Elektrolythaltige Getränke können nach akuter Bewusstlosigkeit helfen.
Im Falle einer Operation sollten diese Dinge mit einbezogen werden:
- Aufgrund der Störung im autonomen Nervensystem kann bei Dysautonomie-Patient*innen die Körpertemperatur nicht gut reguliert werden, weshalb es schnell zu Hypo- und auch Hyperthermie kommen kann. Es sollte eine konstante Temperaturkontrolle stattfinden.
- Puls und RR sollten regelmäßig und häufiger als bei Gesunden kontrolliert werden, vor allem bei Lageänderung.
- Epinephrin sollte gemieden werden, weil es dadurch zu gesteigerter Tachykardie kommen kann (evtl. aber nötig bei gleichzeitigem MCAS).
- Es sollte extra Flüssigkeit und Vasopressoren bereit gehalten werden.
- Es kann zu verlängerten Zeiten von Hypotonie kommen während der Operation.
- Thiopental und Ketamine meiden; Propofol evtl. besser aber Vorsicht wegen der Gefahr der Hypotonie.
Quellen:
Mustafa HI, Fessel JP, Barwise J, Shannon JR, Raj SR, Diedrich A, Biaggioni I, Robertson D. Dysautonomia Perioperative Implications. The Journal of the American Society of Anesthesiologists. 2012 Jan 1;116(1):205-15.
Corbett WL, Reiter CM, Schultz JR, Kanter RJ, Habib AS. Anaesthetic management of a parturient with the postural orthostatic tachycardia syndrome: a case report. British journal of anaesthesia. 2006 Aug 1;97(2):196-9.
Rabbitts JA, Groenewald CB, Jacob AK, Low PA, Curry TB. Postural orthostatic tachycardia syndrome and general anesthesia: a series of 13 cases. Journal of clinical anesthesia. 2011 Aug 31;23(5):384-92.
Hilfreiche Information:
Englisch:
http://www.dynainc.org/dysautonomia
http://www.dysautonomiainternational.org
Deutsch:
Deutscher PoTS Blog:
https://potsplatzblog.wordpress.com
PoTS und andere Dysautonomien e. V.: