Der Hauptcharakter in Rebecca Yarros‘ „Fourth Wing“ lebt mit Ehlers-Danlos-Syndrom
Was wäre, wenn die Heldin eines Bestsellers deine Herausforderungen – und deine Stärken – teilen würde? Rebecca Yarros’ Fourth Wing, der erste Band einer Fantasy-Buchreihe, erzählt die Geschichte von Violet Sorrengail, einer jungen Frau, die gezwungen wird, auf eine brutale Drachenreiter-Akademie zu gehen und sich durch lebensgefährliche Herausforderungen, erbitterte Rivalitäten und die bedrohlichen physischen Belastungen ihres Trainings kämpft. Neben ihrer Rolle als Drachenreiterin lebt Violet auch mit dem Ehlers-Danlos-Syndrom. Bald wird die Buchreihe als Amazon-Serie adaptiert, was, soweit der Autorin bekannt, das erste Mal ist, dass eine Figur mit EDS in einer Mainstream-Show vertreten sein wird. In diesem Buchreview schauen wir, wie Fourth Wing das Ehlers-Danlos-Syndrom darstellt – insbesondere durch Violet – und beleuchten, was diese subtile Darstellung für Menschen mit EDS und anderen chronischen Erkrankungen bedeutet.
[Dieser Blogpost ist aus dem Englischen übersetzt und wurde zuerst hier publiziert: https://www.chronicpainpartners.com/how-rebecca-yarros-fourth-wing-embodies-ehlers-danlos-syndrome/]
Handlung
Fourth Wing von Rebecca Yarros spielt in einer Welt, in der Drachenreiter die Elite-Militärtruppe bilden, die das Königreich Navarre schützen soll. Die Geschichte folgt Violet Sorrengail, einer jungen Frau, die von ihrer strengen Mutter in das lebensgefährliche Drachenreiter-College geschickt wird. Violets Körper ist im Vergleich zu den anderen Kadetten anfälliger, weshalb sie kreative Wege finden muss, um die tödlichen Prüfungen und erbitterten Rivalitäten zu überstehen. Während ihres Überlebenskampfes verliebt sich Violet in Xaden Riorson, einen rebellischen Reiter, dessen Vergangenheit mit ihrer Familie verflochten ist. Als sie Geheimnisse aufdeckt, die ihr ganzes Leben und die Welt, wie sie sie kannte, verändern könnten, muss Violet entscheiden, wo ihre Loyalitäten liegen …
EDS in Fourth Wing: Eine subtile Darstellung
Obwohl das Buch das Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS) nie ausdrücklich erwähnt, werden Leser*innen, die mit der Erkrankung vertraut sind, sofort auffällige Parallelen zu Violets Herausforderungen erkennen. Schon auf den ersten Seiten wird Violet als „zerbrechlich“ und körperlich „schwächer“ als andere beschrieben. Während diese Begriffe oft negative Konnotationen haben, insbesondere in der Community der Menschen mit Behinderungen, wird hier aber eher auf die extremen Anforderungen der Drachenreiter-Akademie hingewiesen, bei der körperliche Stärke über Leben und Tod entscheidet.
Einige Beispiele für Symptome, die im Buch erwähnt werden und mit EDS in Verbindung gebracht werden können, sind Violets chronische Schmerzen – vermutlich das dominierendste Symptom im Buch. Violet hat immer Schmerzen und spricht häufig mit ihren Freund*innen darüber. So sagt sie beispielsweise: „Ich verdränge den Schmerz; sperre ihn hinter eine Wand, wie ich es mein ganzes Leben lang getan habe.“ Ihre chronischen Schmerzen sind im Buch allgegenwärtig und werden auf eine Weise dargestellt, die vermuten lässt, dass die Autorin selbst ähnliche Erfahrungen gemacht hat.
Das zweithäufigste Symptom, das erwähnt wird, sind ständige Gelenksubluxationen und -luxationen, die typisch für EDS sind und bei anderen Erkrankungen eher nicht vorkommen. Violet renkt sich wiederholt Gelenke aus, verstaucht Knöchel und bricht Knochen – meist während des Kampfes oder anderer belastender Aktivitäten. Menschen mit EDS benötigen allerdings oft keinen solch großen äußeren Einfluss, um Subluxationen zu erleben.
Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass Violet mit Dysautonomie lebt. Yarros erwähnt, dass Stress bei Violet Schwindel auslöst, sie Ohnmachtsanfälle hat und erbricht – ein Hinweis auf Probleme mit dem autonomen Nervensystem. Schließlich wird Violets weiche Haut während eines intimen Moments mit Xaden, ihrem Partner, erwähnt – ein charakteristisches Symptom von hEDS.
Während Violets Symptome stark auf EDS hindeuten, wird die Erkrankung im Buch nie benannt. Durch die subtile Darstellung der EDS-Symptome erreicht Yarros womöglich ein breiteres (Mainstream)Publikum, was vermutlich zum Bestsellerstatus des Buches beiträgt. Für Leser*innen mit EDS fühlen sich Violets Erfahrungen tief nachvollziehbar an (sie werden die Verbindung sofort herstellen). Für Menschen, die mit der Erkrankung nicht vertraut sind, könnte EDS als solches jedoch unbemerkt bleiben, was eine verpasste Gelegenheit darstellt, das Bewusstsein für die Erkrankung zu schärfen. Das Fehlen einer direkten Anerkennung von EDS birgt das Risiko, das Stigma rund um die Unsichtbarkeit chronischer Krankheiten zu verstärken.
Eine Fantasy-Heldin mit Behinderung – Klischees durchbrechen
Im Gegensatz zu vielen anderen behinderten Figuren in Büchern stehen Violets körperliche Fähigkeiten nicht im Mittelpunkt; sie sind nur ein Teil der Geschichte. Der Schwerpunkt bleibt auf Action und Romantik, sodass die Darstellung von Behinderung die Hauptthemen der Geschichte nicht überschattet. Die Autorin hätte typische Narrative über Behinderungen verwenden können, wie „Inspiration Porn“, bei dem die behinderte Person dafür gefeiert wird, alltägliche Dinge trotz ihrer Behinderung zu tun, oder sie hätte Behinderung als tragisches Element ins Zentrum der Geschichte rücken können. Doch das hat Yarros nicht getan. Im Gegenteil, in vielen Bereichen nutzt die Autorin Violets Erfahrungen mit Schmerzen als Vorteil, weil sie sie widerstandsfähiger gegenüber den Herausforderungen macht, denen sie sich stellen muss. Gleichzeitig regt ihre Behinderung sie dazu an, über den Tellerrand hinauszublicken und kreative Lösungen für physische Barrieren zu finden, die andere gar nicht bemerken.
Zum Beispiel schleicht sich Violet vor dem Kampftraining regelmäßig heimlich davon, um herauszufinden, wer ihr*e Gegner*innen am nächsten Tag sein werden, und entdeckt deren „Schwächen“; einmal vergiftet sie einen Gegner mit Früchten, auf die er allergisch ist. Eine Szene zeigt, wie für Violet Hilfsmittel entwickelt werden, damit sie auf ihrem Drachen Tairn reiten kann, ohne ständig herunterzufallen. Tairn ist ein sehr großer Drache, und Violet hat nicht die Muskelkraft, um sich ohne Hilfe auf dem Drachen zu halten. Daher entwerfen ihre Freunde einen speziell angefertigten Sattel, indem sie fest angeschnallt. Dieselbe Szene thematisiert auch internalisierte Ableismus, da Violet zunächst darauf besteht, ihren Drachen wie alle anderen Reiter*innen ohne Sattel zu reiten. Doch Tairn versichert ihr: „Nur weil dein Körper anders gebaut ist als andere, heißt das nicht, dass du es nicht verdient hast, im Sattel zu bleiben. Es braucht mehr als ein paar Lederstreifen und einen Knauf, um einen Reiter zu definieren.“ Ihre Anpassungen spiegeln Lösungen aus der realen Welt wider, wie Hilfsmittel, und zeigen die Bedeutung von Barrierefreiheit.
Yarros widersteht auch dem in diesem Genre häufigen Klischee, behinderte Charaktere durch magische Interventionen zu „heilen“. Obwohl Violets akute Verletzungen von Heilern behandelt werden, bleibt ihre Grunderkrankung bestehen, was die Idee verstärkt, dass ihre Behinderung einfach ein Teil von ihr ist und nichts, was „behoben“ werden muss. Durch Violet feiert Fourth Wing die Stärke und Anpassungsfähigkeit behinderter Charaktere und definiert, was es bedeutet, in Fantasyromanen eine Heldin zu sein, neu.
Fazit
Fourth Wing bietet eine nuancierte Darstellung einer unsichtbaren Behinderung durch Violet Sorrengail und hebt die Stärken und Herausforderungen des Lebens mit einer Erkrankung wie EDS hervor. Während die implizite Darstellung den Zugang zum Mainstream-Publikum sichert, lässt sie Raum für mehr Awareness, was hoffentlich die Filmversion erfüllen wird. Wir hoffen auf eine akkurate Darstellung, die eine Schauspielerin mit dem Ehlers-Danlos-Syndrom in der Rolle von Violet zeigt und sicherstellt, dass die EDS-Symptome, die im Buch so häufig erwähnt werden, nicht aus der Filmserie gestrichen werden! Für Leser*innen mit EDS bieten Violets Widerstandskraft und Einfallsreichtum Bestätigung. Für ein nicht-behindertes Publikum zeigt Fourth Wing, dass Heldentum viele Formen annehmen kann – einschließlich der Anpassung an und Überwindung physischer Barrieren. Dieses Buch ist ein bedeutender Schritt, um Behinderung in der Fantasy zu normalisieren, und beweist, dass Charaktere mit chronischen Erkrankungen genauso fesselnd – und genauso heldenhaft – sein können wie ihre nicht-behinderten Gegenstücke, ohne auf Klischees zurückzugreifen.
Habt ihr Fourth Wing gelesen, und wie empfindet ihr die Darstellung von EDS im Buch?
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