Recht haben, heißt nicht Recht bekommen
von Karina Sturm.
Ich sah nur das Wort ”Berufung” in der E-Mail meiner Anwältin vor zwei Wochen und mir war sofort klar, was in dem Brief der darunter angehängt war, stehen musste. Die Klage um die Behandlungskosten im Ausland, die ich vor drei Jahren eingereicht hatte, war verloren.
Natürlich merkte ich sofort mein Herz das schneller wurde. Selbst nach sieben Jahren regte ich mich noch über abgelehnte Klagen auf. Sollte ich es nicht besser wissen? Ja, definitiv, denn meine Statistik an gewonnenen Kämpfen – sei es mit Klage oder ohne – war deutlich mehr auf der Verloren-Seite. Doch das reine Scheitern ist nicht das, was meinen Puls in die Höhe trieb. Sondern die angehängten Gutachten der Ärzte, die in nur wenigen Worten über mein Leben urteilten.
Ich entschied, die wichtigen Fragen in der Mail zu beantworten, das angehängte Dokument legte ich jedoch kurz zur Seite. Gerade hatte ich eine für meine Verhältnisse gute Phase. Über Wochen war mein Zustand stabil, was ein Grund zum glücklich sein war. Hatten sich meine Symptome doch über die Monate zuvor stetig verschlechtert. Ich war gut gelaunt und BÄHM traf mich diese E-Mail. Auch das kannte ich schon. Solche Situationen gehörten zum Auf und Ab als chronisch Kranke. Doch diesmal entschied ich mich dazu mein Glücklichsein noch ein paar Tage länger zu genießen, bevor ich den Anhang öffnete.
Zwei Tage später war es soweit. Ich las die wenigen Seiten des Gerichts, das nach einem Facharzt-Gutachten leider gegen mich entschieden hatte. Das Urteil tat meine Stellungnahme zum Gutachten als ”persönliche Erfahrung” ab, und sah daher auch keinen Grund meine hervorgehobenen Mängel weiter zu verfolgen oder gar den Gutachter darum zu bitten, sich zu äußern. Letzterer hatte vor wenigen Monaten ein Gutachten von mir erstellt, in dem er zu der Erkenntnis kam, dass eine OP der Halswirbelsäule in meinem Fall zwar nötig sei, diese aber auch im Inland von genügend Neurochirurgen durchgeführt werden könne. Auf das Ehlers-Danlos-Syndrom, das der zentrale Risikofaktor bei dieser OP war, und die zusätzlichen Folgekrankheiten ging er in seinem Gutachten nicht ein. Vermutlich weil er es als Nicht-Spezialist nicht konnte. Und das machte ihm auch niemand zum Vorwurf. Kein Arzt auf der Welt kann alles wissen. Aber dann muss er eben genau das sagen – dass er meinen Zustand nicht einschätzen kann, weil er EDS gerade zum ersten Mal gehört hat. Ganz schön naiv von mir, oder? Klar hat er trotz des mangelnden Wissens zu meinen Erkrankungen ein Urteil gefällt. Genau eine solche Einstellung – die Grunderkrankung zu ignorieren – kann EDS-Patienten bei Operationen zum Verhängnis werden und den Behandlungserfolg verschlechtern.
Dem Gericht blieb somit nichts anderes übrig, als sich dem Arzt anzuschließen. Richter sind ja leider kein Mediziner. Selbiges Argument wurde herangezogen, um meine mit aktueller Fachliteratur bestärkte Mängelliste zu verwerfen. Ich mag kein Arzt sein, aber ich bin diejenige die jeden Tag in diesem Körper lebt und das sollte genügen, um meine Aussagen zumindest zu überprüfen. Doch nicht einmal dieses Recht hat man als Kläger. Das zu akzeptieren fällt mir extrem schwer.
Weil ich Ungerechtigkeit nie ausstehen konnte, hatte ich diese Klage ja überhaupt eingereicht. Schließlich ändert sich nie etwas, wenn die chronisch Kranken nicht von den wichtigen Stellen im Gesundheitswesen gesehen werden. Aber auf der anderen Seite sind diese Verfahren anstrengend, langwierig und kostenintensiv. Und viele von uns sind zu krank, haben zu wenig Unterstützung, oder keine finanziellen Mittel, um so einen Kampf austragen zu können. Leider werde ich das Gefühl nicht los, dass man von Versicherungsseite gerade darauf setzt, dass die Kläger aus Erschöpfung aufgeben.
Nun wäre mein nächster Schritt die Berufung. Ja, ich will bis zum bitteren Ende kämpfen – aber macht das Sinn, wenn die Erfolgschance verschwindend klein ist? Oder gar ausgeschlossen?
Berufung oder nicht, das ist hier die Frage. Meine Versicherung gewinnen zu lassen und dem Gutachter damit quasi zuzustimmen, dass Menschen mit Ehlers-Danlos-Syndrom und Instabilitäten der Halswirbelsäule praktisch von jedem x-beliebigen Arzt operiert werden können und sollen, erscheint mir so falsch – vor allem wenn ich an all diese Menschen denke die täglich Spendenaktionen auf der ganzen Welt anzetteln, nur um die notwendige Behandlung im Ausland finanzieren zu können. Ich fühle mich, als würde ich damit den Kampf für alle Betroffenen aufgeben. Und so gehe ich vermutlich doch in Berufung und versuche durch meinen kleinen Beitrag auch das große Ganze zu verändern.
Es muss als Betroffener einer seltenen Erkrankung doch möglich sein, eine Behandlung im Ausland zu erhalten, wenn es nichts Vergleichbares im eigenen Land gibt! Und deshalb halte ich mich an Gandhi: Be the change you wish to see in the world.
Bilder: Pixabay
(Jury Hammer – Activedia)
Karina, Ich drücke dich mal feste. Genau diese Gleichgültigkeit und dieses Unwissen habe ich bei meinem Kampf um EU-Rente auch erfahren.Es ist furchtbar Kraft raubend und man fühlt sich so hilflos. Ich drücke dir die Daumen.
Hallo meine Liebe, danke dir für die lieben Worte. Mit der EU-Rente ging es mir leider ganz genauso. 3 Jahre und viel zu viele Gutachter haben mich ziemlich mitgenommen, was auch der Grund dafür ist, weshalb ich so sensibel reagiere wenn wieder ein unschönes Gutachten ankommt. Ich drück dich zurück. Gruß, Karina
Ich wünsch dir ganz ganz viel Kraft dafür. sowas macht mich extrem wütend, ich finde es ist eine sauerei.
Leider ist es ja auch so mit den Kassen das Sie bei Abweichungen dann nicht mal den „Grundsatz“ bezahlen… also wenn man z.b. das zusätzliche Geld selber auftreiben würde. Find ich sehr toll das du weitermachst. Ich würde auch dem Gutachtr nochmal ganz ausführlich schreiben, und das auch veröffentlichen.
Ich bin auch am überlegen ob man generell nicht mal eine Aktion starten sollten mit Briefen an Ärzte – auch Anonym verfasste, wo sich Patienten mal äußern was Ihnen so wiederfahren ist und was nicht in Ordnung war. Ich habe mehrere ERkrankungen, darunter Endometriose, damit kennen sich auch viele Ärzte überhaupt nicht aus, und es gibt keine Lobby. Die Patientinnen müssen sich ziemlich viel Mist anhören…
Hallo Karolin, ja leider sind die Kassen zu gar nichts verpflichtet wenn die Leistung so oder so nicht bezahlt werden würde. Dem Gutachter zu schreiben würde nichts bringen. Das würde mich nur ärgern und anstrengen. Ich glaube auch nicht dass es eine gute Idee ist Ärzten Briefe zu schreiben. Das verschreckt am Ende nur die die wirklich gut und hilfreich sind. Ich denke damit nimmt man irgendwie die Kommunikationsgrundlage, weil jeder sofort in Abwehrstellung geht. Wenn dann müsste eine übergordnete Stelle, die nicht so emotional involviert ist wie ich z. B., anfangen mal im deutschen Sozialsystem ein paar Dinge umzustellen. Gerade das Gutachtersystem ist doch recht verkorkst. :) Liebe Grüße
Hey!
Hat deine Anwältin dir etwas zur Berufung geraten? Also ob ja oder nein?
Wäre ein Spendenkonto für dich eine Idee, um die Kosten wuppen zu können oder hast du eine Rechtsschutzversicherung?
Falls du interessiert bist, schreib ich dir gern ein paar Zeilen zu gerichtlichen Abläufen und Ansichten, vielleicht hilft das bei der Betrachtung :)
Hi Joey,
ja, man hat mir zur Berufung geraten und ich habe mich letztlich auch dafür entschieden. Mittlerweile geht es mir wirklich nur noch um das Prinzip. Es kann einfach nicht sein dass man in Deutschland als Arzt über allem steht, völlig unabhängig davon ob man für die jeweilige Problematik geeignet ist oder Erfahrung hat.
Ein Spendenkonto ist derzeit noch kein Thema. Falls die OP dringend werden sollte, und sich keine andere Lösung auftut, werde ich in der Zukunft evtl. über meinen Schatten springen müssen und ein Konto eröffnen müssen. Derzeit bin ich zum Glück über meine Rechtsschutzversicherung abgesichert. Ich wollte in dem Artikel nur gerne darauf aufmerksam machen, dass manche Betroffenen sich so ein Verfahren gar nicht leisten können – finanziell oder einfach gesundheitlich. Ich habe glücklicherweise das Privileg dass mich viele Menschen unterstützen und ich in der Vergangenheit gut beraten wurde, was allerhand Versicherungen angeht. So kann ich diesen Kampf weiterzutragen ohne dass ich mich dabei ruiniere.
Gern darfst du mir deine Sicht dir Dinge schreiben. Ich bin immer offen für alles. Bedenke dabei nur dass es Themen gibt die bei mir wunde Punkte treffen, wie z. B. der Rechtsstreit um die Rente, und ich dann evtl. emotionaler reagiere als ich möchte. :) Ich bin ziemlich temperamentvoll und schieße ab und an etwas übers Ziel hinaus. Nur als kleine Warnung.
Gruß,
Karina
Ich habe gekämpft wie verrückt und schlussendlich 50% Behinderungsgrad bekommen aber „päng“ an Ostern ein Brief vom Landratsamt, ob es nicht schon besser ist und sie mich wieder zurückstufen könnten. Ich hab gedacht ich steh im Wald, naja hier im Schwarwald ist es sogar so, aber mal Spass beiseite. Ich habe Umschulung und alles immer abgelehnt bekommen+zahle schon seit 33 Jahren ein in Vater Staat und andere kommen, haben nie was hier geleistet und bekommen alles inkl. neuer Waschmaschine.
Mein Glauben an Deutschland´s Rechtsstatt ist mittlerweile eingeäschert. Aber ich kann euch allen mit gleichen Problemen ein Tipp geben: Eine Jahresgebühr beim VDK kostet nicht viel und die helfen beim Kampf gegen die Fehleinschätzungen inkl. Gerichtsvertretungen.
Als Antwort zur Gesundheitsprüfung habe ich gesehen, dass die Tarlovzysten unter den Tisch gekehrt wurden und daher hat das Landratsamt als Gegenantwort einen Verschlechterungsantrag bekommen. „Salve Cäsar, lass die Spiele beginnen!“
Wir müssen so viel ertragen, da muss man sich nicht noch mehr bieten lassen. Also….. auf in den Kampf! Wenn wir resignieren wird sich nie was ändern. Auch wenn es enttäuscht und Kraft kostet muss es einfach ein paar Ritter geben, damit chronisch kranke Menschen endlich fair behandelt werden. Wir leisten schließlich in Steuern und Beiträgen unseren Beitrag zum Land. Quit pro Quo ist nur fair!
Hallo Manuela,
ja, leider läuft nicht immer alles so gerecht ab, wie es sollte. Da ich mittlerweile allerdings den Vergleich habe zwischen Deutschland und den USA, hat sich mein Blick auf das deutsche System auch wieder verändert. Deutschland ist nicht gerade toll im Umgang mit seltenen Erkrankungen und generell ists halt immer so dass wenn es ums Geld geht der Spaß aufhört. Ich glaube Krankenkassen und Rentenversicherungen sehen uns nicht mehr als Menschen, sondern halt als finanzielle Last. Aber das geht alles immer schlimmer. In San Francisco sehe ich täglich tausende von Obdachlose… Die Rechnungen von Ärzten stapeln sich, weil man hier selbst mit guter Versicherung immer irgendwo was zahlen muss. Meine Medikamente kosten das 6-fache im Vergleich zu Deutschland (und ich nehme nicht sehr viel ein). Und ständig fällt irgendwo was privat an. Wenn ich das gegenüber stelle ist zumindest die deutsche Krankenversicherung gar nicht so übel. Aber natürlich habe ich nie vergessen wie mich die Rente teilweise behandelt hat oder die unzähligen Gutachter. Ich verstehe daher total gut was du meinst. ;) Ich sage nur, dass man als Deutscher auch nie vergessen darf wie es anderswo ist.
Deinen Kampfesgeist finde ich super! Und auch im Bezug auf den VDK stimme ich voll zu. Mir hat man dort auch sehr geholfen.
Gruß,
Karina