von Karina Sturm.

350 Dollar für den Flug, 

1000 Dollar für das Hotel, 

500 Dollar für Transport, 

und dann noch 200 Dollar für Unterhalt. 

Ist das in 2018 überhaupt drin? Oder warte ich lieber noch ein Jahr? 

Was klingt wie die Planung eines Luxusurlaubs, ist die Realität für viele Menschen mit chronischen Krankheiten – vor allem wenn sie selten sind. Patienten, die wie ich das Ehlers-Danlos-Syndrom haben, müssen oft große Entfernungen zurücklegen, um Spezialisten zu finden, die ihre komplexen Symptome einordnen und behandeln können. In meinem Fall steht alle paar Jahre eine Untersuchung meiner Halswirbelsäule an und die findet in Maryland statt. Das heißt 2430 Meilen zu reisen und mehrere Tausende Dollar zu investieren. 

Neben den Kosten für Unterkunft und Verpflegung kommen natürlich die Arztkosten hinzu, die den Preis locker um 1000 Dollar steigern. Und schnell sind wir im Bereich eines Zwei-Wochen-Urlaubs auf Hawaii.

Nur lag ich gerade nicht in meinem Liegestuhl im angenehmen Schatten einer Palme und hoffte das mir keine Kokosnuss auf den Kopf fällt. Nein, viel mehr saß ich in 30.000 Fuß Höhe in einem Flugzeug und anstatt eines erholsamen Urlaubs verbrachte ich die darauffolgenden zehn Tage in einer kleinen Stadt in Maryland, um herauszufinden wie schlecht es um meine Wirbelsäule stand. Mich stört der Gedanke, dass ich ständig wählen muss, ob ich meine Rente für meine Gesundheit einsetze, oder dazu, um ein wenig zu leben. Es ist offensichtlich welche Seite immer gewinnt. Ich beschloss das Beste aus meinem diesjährigen Ärztetrip zu machen und überredete mich so zu tun als wäre ich in Urlaub und die freien Minuten zwischen den Terminen einfach zu genießen. 

Ich lehnte meinen Sitz zurück, atmete tief ein und lachte zum gefühlt hundertsten Mal über die Sicherheitsbelehrung von Virgin Airlines, die mir in einem seltsamen Musikvideo näher brachten, wo ich die Notausgänge finden konnte. Seit 2013, als ich auf der Suche nach einer Diagnose zum ersten Mal in die USA gereist war, bin ich schon 50 Mal geflogen. Und trotzdem fühlte ich mich jedes einzelne Mal zittrig. Warum? Weil ich genau wusste, dass mir der erhöhte Druck in der Kabine zusetzen würde. Wie sehr kam immer darauf an in welcher Grundverfassung ich in das Flugzeug stieg. Eine Wahl hatte ich nicht. Ich war auf diese Ärzte angewiesen und so steckte ich die kurzfristige, körperliche Verschlechterung durch den Flug ein, aber bekam dafür einige Antworten auf meine Fragen.

Dieses Mal hatte ich Glück. Ich überstand den Fünf-Stunden-Flug relativ gut und musste nicht wie so oft die kommenden Wochen mit Windeln herumlaufen. Meiner Blase und meinem Magen ging es nach dem Flug sogar so gut, dass ich am nächsten Morgen frühstücken konnte und mich nicht im 100-Meter-Radius einer Toilette aufhalten musste. Peinlich sind mir diese Probleme lange nicht mehr. Mein Körper macht ohnehin was er mag, ob ich mich ärgere oder nicht. Neben den körperlichen Symptome nach dem Fliegen, litten auch meine kognitiven Fähigkeiten. Der Mini-Jetlag reduzierte meine tägliche Konzentration weiter. Deshalb konnte ich nicht mehr als einen Termin pro Tag planen und musste unbedingt meine Pausen einhalten.  Auf der anderen Seite wollte ich aber auch nicht zu viel Zeit verschwenden, schließlich bezahlte ich praktisch jede Minute.

Viele chronisch kranke Menschen werden diese Überlegungen kennen. Immer abzuwägen, ob man sich nun körperlich überfordert und für ein paar Tage weit über seine Grenzen geht, oder aber lieber mehr Pausen einlegt, dann aber finanziell über sein Limit schreitet, ist anstrengend. Und es gibt keine richtige Antwort darauf. Ich entschied mich in diesem Jahr dafür, mich täglich über meine Grenzen zu pushen, um möglichst viel aus dem Aufenthalt herauszuholen. Wohl wissend, welche Konsequenzen mein Handeln auf die Wochen danach haben würde. In wenigen Tagen hatte ich Termine mit drei Chirurgen, einem Radiologen, einer Genetikerin und zwei Betroffenen, die ich für ein Studienprojekt filmen durfte. Ganz nach dem Motto: Wenn dann schon richtig! Und wenn ich nicht gerade meine schmerzenden Gelenke in der Badewanne möglichst weich gekocht, nervös meine Kreditkartenabrechnung überwacht, oder regungslos im Bett gelegen und auf die Dauerschleife des Wetterkanals gestarrt hatte, versuchte ich ein wenig Urlaubsflair zu generieren. 

Bereits zum dritten Mal war ich nun in Bethesda, Maryland, und bisher hatte ich nie die Gelegenheit in das nur wenige Meilen entfernte Washington, DC, zu fahren. Ich war meist zu ausgelaugt von meinen Terminen und sah selten mehr als die Arztpraxen, das Taxi und mein Hotelzimmer. Es wurde Zeit das zu ändern. Wenn ich schon für Hawaii bezahlte, dann wollte ich wenigstens ein paar typische Urlaubs-Bilder machen. Meine Kompressionsstrumpfhose, Bandagen für mehrere Gelenke, mehr Kaffee als gut für mich war und in der direkten Folge meine Windel, hielten mich bei meinem Sightseeing-Trip stabil und endlich, nach Jahren direkt nebenan, besichtigte ich zwei Museen und einige der wichtigsten Denkmäler in der Geschichte Amerikas. Ich verdrängte für kurze Zeit meine Ernährungseinschränkungen und genoß afghanisches, libanesisches und äthiopisches Essen – meine Art von kultureller Weiterbildung – ohne an die Folgen zu denken. Ich lebte. 

Wenige Tage später war ich auf dem Weg zurück nach Hause. Ich betrat meine Wohnung, warf alle Wäsche aus dem Koffer direkt in die Waschmaschine und legte mich aufs Sofa. Kurz schloss ich die Augen und ließ die Tage Revue passieren. Mir wurde schlecht als ich meine Ausgaben grob summierte. „Aber so ist das eben“, dachte ich mir, „das ist mein Leben.“ 

Und ich weiß, dass ich mich glücklich schätzen darf! Denn meine Familie, mein Mann, meine Freunde und fast alle Menschen in meinem Umfeld unterstützen mich und machen mir diese Termine überhaupt möglich. Dass andere EDS-Betroffene gar keinen Zugang zu solchen Ärzten haben, macht mich traurig. Medizinische Versorgung sollte nicht vom Geldbeutel, der Nationalität oder der Bekanntheit der Krankheit abhängen. EDS-Patienten sollten nicht zwischen finanziellem Ruin und ihrer Gesundheit wählen müssen. Jeder Mensch hat es verdient die Ärzte sehen zu können, die den bestmöglichen Behandlungserfolg versprechen. Und da ist es für mich ein Privileg, dass ich alle paar Jahre mein Erspartes in diese Termine investieren darf. Denn letztlich kann ich dank dieser Ärzte die nächsten Jahre so gut wie möglich überstehen. Und das ist mir jeden Cent wert. Ich wünschte nur, unsere jeweiligen Versicherungen würden es uns etwas leichter machen… Man darf ja träumen. 

2 Kommentare
  1. Manuela Schneider sagte:

    Träumen dürfen und sollen wir und irgendwann hört man auf sich dauernd Sorgen zu machen, sondern geniesst die wenigen guten Momente. Ich reise soviel es geht. Die Familie macht sich mehr Sorgen als ich. Das ist mehr belastend. Lange Flüge sind hart aber das ist es wert. Also HAWAI!

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    • karinabutterfly sagte:

      Hallo Manuela, ich stimme dir total zu dass man sein Leben einfach leben muss so gut es geht. Aber das hat halt auch seine Grenzen. Nämlich dann, wenn ich Geld für eine Reise ausgebe, das ich eigentlich für meine Gesundheit brauche. Gesundheitliche Probleme ignorieren ich häufig. Sonst würd ich nur noch beim Arzt sitzen. Aber da gibt es auch eine Grenze. Manchmal sind die gesundheitlichen Beschwerden wichtiger als das Leben einfach zu leben. Daher musste ich mich in diesem Jahr mit einer Arztreise zufrieden geben. Die haben wir uns so schön wie möglich gemacht. Aber es ist halt trotzdem eine Arztreise und kein Hawaii.

      Gruß,
      Karina

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