Warum sind Termine mit neuen Ärzt*innen so kompliziert?
von Karina Sturm.
Chronisch Kranke können auch akut krank werden. In meinem Fall sind in diesem Jahr Erkältungen besonders ansteckend. Aktuell hatte mein Gynäkologe bei einem Routinetermin ein Muttermal als auffällig deklariert und mich zum Dermatologen überwiesen. Solche akuten Probleme nerven mich immer arg. Sie füllen meinen ohnehin zu vollen Terminkalender und bringen immer irgendwelche Komplikationen mit sich.
Warum? Das möchte ich euch durch das Gespräch mit der Dermatologin verdeutlichen.
Dermatologin, als sie das Zimmer betritt, in dem ich bereits im Morgenmantel, darunter nackt, auf sie warte: ”Hi Karina, was führt dich denn heute zu uns?”
Ich: „Mein Gynäkologe findet dieses Muttermal hier auffällig und sagt, das muss weg.“ Ich deute auf ein kleines Muttermal auf meinem Bauch.
Die Ärztin beschließt erst einmal alle meine Muttermale anzuschauen und sagt dann: ”Hm, ja ich kann sehen warum dein Gynäkologe so entschieden hat. Dieses Eine sieht anders aus als der Rest deiner Muttermale. Ich kann es entweder heute raus schneiden, oder wir beobachten es über die nächsten Monate und du kommst regelmäßig zu Kontrollen vorbei.”
Noch mehr Arzttermine? Die Entscheidung fällt mir leicht. Weg damit.
Ich: „Ich glaube, ich hätte das gerne sofort entfernt.“
Sie: „Verstehe. Dann bereite ich alles vor und wir…“
Ich unterbreche: „Da gibt es allerdings noch ein paar Besonderheiten bei mir… Ich habe das Ehlers-Danlos-Syndrom.“
Ihr Blick wirkt aufgeweckt und interessiert. „Oh, echt? Kannst du mir ein bisschen was vorführen? Das sehe ich hier nicht oft.“
Ich denke: „Wow, immerhin hat sie von EDS gehört, aber muss ich mich jetzt wirklich verbiegen, während ich nackt vor ihr stehe? Ach, was solls. Ist ja gut wenn sie was lernt.“
Ich verbiege mich ein wenig, aber nicht weit genug, um Schmerzen zu verursachen. Die Grenze kenne ich mittlerweile.
Sie: „EDS hätte ich mir schlimmer vorgestellt. Ist ja weniger deutlich als ich immer dachte.“
Ich: „Ich weiß. Trotzdem sind die meisten meiner Gelenke instabil. Das sieht man von außen nicht.“
Sie: „Aha. Nun gut, dann schneiden wir jetzt das Muttermal heraus.“
Ich: „Moment bitte. EDS ist nicht meine einzige Diagnose, die für einen Eingriff eine Rolle spielt.“
Fragezeichen in ihrem Gesicht. Sie wirkt etwas gestresst. Hat wohl nicht damit gerechnet, dass ich sie so lange aufhalte.
Ich führe fort: „Ich vertrage außerdem nur wenige Medikamente. Lokale Betäubung eher so gar nicht. Liegt am Mastzellaktivierungssyndrom.“
Noch mehr Fragezeichen.
Ich deute auf meine Biopsienarbe und sage: „Die hier wurde nur mit Eis betäubt. Das ging. Das Muttermal ist auch nicht größer. Ich schätze also, das lässt sich aushalten.“
Sie lächelt irritiert und sagt: „Aber das tut doch bestimmt weh.“
Ich: „Besser als eine allergische Reaktion.“
Sie: „Geht im Falle einer Anaphylaxie denn Epinephrin?“
Jetzt muss ich lachen: „Nur im akuten Notfall. Epinephrin ist eher schlecht für die Dysautonomie.“
Jetzt ist sie völlig fertig: „Dysautonomie hast du auch? Du siehst so gesund aus.“
Ich: „Ja, ich weiß. Und wenn ich für jedes Mal, dass ich diesen Satz höre, Geld bekommen würde, wäre ich reich. EDS bringt leider häufig viele andere Krankheiten mit.“
Sie: „Ok, wenn du sagst du hältst das aus, wenn wir nur mit Eis betäuben, dann machen wir das eben. Spüren wirst du aber schon was.“
Ich: „Das passt schon. Große Teile meines Bauchs sind ohnehin taub.“
Mein scherzhafter Umgang mit meinen Diagnosen kommt bei ihr nicht gut an.
Sie schaut mich mit ernster Miene an: „War das jetzt alles, was ich wissen muss?“
Ich: „Eine Sache noch. Ich blute außerdem manchmal stärker. Du solltest vielleicht etwas unterlegen und mehr als nur ein Pflaster auf die Wunde kleben.“
Jetzt grinst sie auch: „Du erlebst sowas häufig, oder?“
Ich: „Was genau?“
Sie: Arzttermine, bei denen du den Ärzten sagst, was zu tun ist.
Ich: „Das gehört zu meinem Alltag.“
Zehn Minuten später wird ohne Betäubung das Muttermal entfernt. Meine Ärztin sieht unsicher aus. Kann sie mir das zumuten? In einem Bruchteil einer Sekunde ist die kleine braune Stelle weggeschnitten und ein dickes Pflaster klebt auf meinem Bauch.
Sie: „Du hast nicht mal Autsch gesagt.“
Ich: „Kaum gespürt.“ (Das habe ich nicht erfunden, ich habe wirklich nichts gemerkt, auch danach nicht.)
Sie schaut mich völlig entgeistert an: „Sowas habe ich auch noch nicht erlebt.“
Ich: „Mission erfüllt.“
Dieses Gespräch erklärt glaube ich recht klar, welche Probleme Termine bei neuen Ärzten mit sich bringen. Man muss als EDS-Patient mit all diesen Komorbiditäten vieles erklären, und obwohl ich nur einen Bruchteil meiner Diagnosen aufgezählt habe – nämlich die, die für den Eingriff relevant waren – war meine Dermatologin kurz überfordert. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sich die einfache Fünf-Minuten-Prozedur zu so einem komplizierten Termin entwickelt.
Ohne dass ich es beabsichtige, brauche ich immer mehr Zeit als ein anderer Patient, der eben nicht mit 15 Vorerkrankungen ein Muttermal entfernt haben will. Und nicht alle Ärzte reagieren entspannt auf die Mehrarbeit. Meine heutige Dermatologin war irritiert, gestresst und stand sichtlich unter Zeitdruck, aber trotzdem hatte ich das Gefühl ernst genommen zu werden. Sie war interessiert an meiner Erkrankung und hat eingewilligt ein für sie völlig anderes Verfahren der Betäubung anzuwenden.
Letztlich geht es nicht immer nur darum, wie viel Wissen Ärzte mitbringen, sondern viel mehr, was sie mit den von mir zur Verfügung gestellten Informationen anfangen. Bei einem akuten Problem hat man als EDS-Patient selten den Luxus an einen Fachmann für unsere seltene Erkrankung zu geraten. Doch wenn wir selbst Wissen zu unseren Diagnosen mitbringen und klare Grenzen setzen, dann haben wir vielleicht das Glück an einen Arzt zu geraten, der unsere Bedenken ernst nimmt und eine Alternative findet, obwohl die ihm eigentlich nicht besonders gefällt. Das ist für mich ein erfolgreicher Arzttermin und ein Problem weniger auf der Liste.
Vom aufgeklebten Pflaster habe ich übrigens eine heftige Allergie bekommen. Ich schätze, man kann halt nicht alles haben.
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