Der ewige Kampf um Leistungen als chronisch Kranke, Ehlers-Danlos-Syndrom & Co.
von Karina Sturm
Ein dicker weißer Briefumschlag begrüßt mich schon morgens auf dem Küchentisch. Ich habe schlecht geschlafen, mir tut alles weh und das Letzte was ich heute brauche ist Stress. Überhaupt ist mein Stress-Level auf ein Minimum reduziert.
Ihr kennt das. Wochen voller Symptome, die einfach nicht mehr weggehen wollen, egal was man tut. Täglich diszipliniertes sich aufrappeln, spazieren gehen und doch nur alles für die Katz‘. Das lässt einen frustriert werden, nimmt die Kraft und zehrt unfassbar an den zu dünnen Nerven.
Ich bin mies drauf, schon bevor ich überhaupt lese von wem der Brief ist. Dicke Briefe verheißen selten etwas Gutes. Das sind entweder Arztbriefe, die noch mehr Tests vorschlagen oder Briefe von Anwälten, Versicherungen und ähnlichem. So oder so, ich bekomme selten Post die ich mag.
Schon der Stempel auf der Außenseite verheißt Unheilvolles. Meine Anwälte – Spezialgebiet Sozialrecht. Es dauert einen Moment bis ich darauf komme, was das noch gleich für eine Klage war, ist es doch schon zum Alltag geworden mit Sozialträgern gerichtlich zu streiten. Was für eine traurige Realität, in der man schlichtweg für jede wichtige Leistung jahrelang klagt.
Ich weiß nicht einmal mehr wann ich diese Klage einreichte. 2014? Ich glaube, nachdem die Diagnose EDS feststand und klar wurde, man würde mir in Deutschland in Bezug auf die HWS-Instabilität nicht weiterhelfen können.
Doch ich bin so schwer geschädigt von den vielen Kämpfen. Kaum etwas von dem, dass ich dringend gebraucht hätte, habe ich bekommen und wenn doch musste ich schwere Kämpfe austragen, die mich auf so vielen Ebenen geschwächt haben. Ich habe nie aufgegeben, aber es hat doch seinen Tribut gezollt. Die neue Reaktion die ich zeige, wenn ein Schreiben von der Rente und teilweise auch von der Krankenkasse ankommt ist folgende:
Zittern, Schweißausbrüche, Übelkeit und Herzklopfen. Dann lese ich das Schreiben, ärgere mich in der Regel furchtbar, lege es zur Seite und versuche mich abzulenken. Am nächsten Tag nehme ich es wieder in die Hand und formuliere ein Widerspruchsschreiben, rufe Anwälte, den Sozialverband oder meine Ärzte an.
In der Regel investiere ich zwei volle Tage in jedes Antragsschreiben, das ich stelle. Ich recherchiere Publikationen die meinen Standpunkt belegen, frage meine Ärzte, ob sie mich mit einem Attest unterstützen, formuliere seitenlange Gegenargumentationen. Und wofür?
Meist für zwei bis fünf Zeilen freundliches Ablehnungsschreiben in dem praktisch steht: Sorry, aber is nicht.
Es ist zum verrückt werden. Manchmal möchte man einfach geradeaus gegen die Wand rennen. Ich glaube, was für mich am schlimmsten ist, ist in dieser Abhängigkeitsposition zu sein. Ich brauche eine Leistung ganz nötig, die von dem jeweiligen Träger aber nicht erbracht werden will. Das heißt, ich kann nicht einfach sagen was ich mir manchmal denke, denn ich bin auf deren Hilfe absolut angewiesen.
Zusätzlich zur Abhängigkeit kommt die gefühlte Willkür mit der Leistungen abgelehnt werden. Ich weiß bis heute nicht, wie ich damit umgehen soll, dass pauschal alles beim ersten Mal abgewiesen wird. Die ganzen Mühen, die stundenlange Arbeit, die vielen Gedanken die man in einen Antrag steckt, zack, mit nur wenigen Worten und ohne begründen zu müssen, alle Hoffnungen zerstört. Willkür deshalb, weil Zu- und Absagen keiner Logik folgen. Manche Menschen haben Glück, andere eben nicht. Ich – eher selten. Meine Statistik an erhaltenen Leistungen außerhalb des Regelkatalogs der Kassen beschränken sich auf ein paar extra Kompressionsstrümpfe, ein paar Tabletten (vier Rezepte lang, dann wurde auch die Zahlung abgelehnt) und die Dauerverordnung für Krankengymnastik. Letzteres war aber sehr wichtig, denn ohne diese Einwilligung hatte ich hart um meine Rezepte zu kämpfen.
Doch gegen den Rentenantrag stinkt wohl jedes andere Verfahren um Längen ab. Im Jahr 2013, nachdem mein Krankengeld und Arbeitslosengeld auslief, musste ich zwangsläufig die Rente beantragen. Ich schätze jeder kann sich vorstellen wie sich so etwas anfühlt, wenn man gerade 27 Jahre alt ist. Finanziell stand ich an einem Wendepunkt. Ab nun musste ich meine Krankenkassenbeiträge selbst tragen und die Unterstützung war weg. Wäre ich nicht vorher schon aufgrund meiner Gesundheit wieder in mein Elternhaus eingezogen, hätte ich jetzt ziemlich alt ausgesehen.
Eine Achterbahnfahrt durch die Hölle beginnt und bevor ich mich versehe, sehe ich einen Gutachter nach dem anderen. Aber eigentlich war nur das erste Gutachten wirklich wichtig, denn es machte den Eindruck auf mich, dass alle weiteren nicht nur die Meinung, sondern auch die falschen Diagnosen vom Vorredner übernahmen. Plötzlich hatte ich eine Leberoperation (die ich mir bis heute nicht erklären kann) und eine Schilddrüsenüberfunktion (die eigentlich eine Unterfunktion war). Befunde die ich eingereicht hatte, waren nicht mit beurteilt worden, andere wurden falsch zitiert, aus dem Zusammenhang gerissen und gedreht wie es gerade beliebte. Gutachter, dessen Fachrichtung Psychoanalytik oder Bronchialheilkunde waren. Die nie zuvor von Ehlers-Danlos-Syndrom gehört hatten und sich trotzdem anmaßten über meinen Zustand zu urteilen.
Und das schlimmste: Bei alledem konnte ich nur zuschauen. Ich konnte mich nicht wehren. Ich konnte dieser Ungerechtigkeit nicht widersprechen. Ich musste diese Gutachten lesen, eines nach dem anderen, immer wieder. Und egal wie viel Zeit ich mir nahm um die Fehler herauszuarbeiten, Gegenargumente zu finden, nichts half. Ich war ausgeliefert, schwach und egal was ich sagte, wie ich es sagte, es spielte keine Rolle. Vier lange Gutachten vergingen, bis ich endlich selbst einen Gegengutachter benennen durfte. Ich wollte stark sein, kämpfen, so wie ich es immer jedem anderen eintrichtere. Doch plötzlich stand ich vor dem Punkt, an dem ich ernsthaft darüber nachdachte aufzugeben. Ich wollte das alles nicht mehr.
Eines meiner liebsten Beispiele ereignete sich bei meinem psychoanalytischen Gutachten. Nach einigen kognitiven Tests und Fragebögen zu Depression und Co. wurde ich zum persönlichen Gespräch zitiert. Meine Kindheit und Jugend sollte zuerst durchleuchtet werden. Ich wurde gefragt, ob ich in einem traditionellen Familienmodell groß geworden war (was auch immer „traditionell“ heutzutage bedeutet). Ich antwortete mit Ja: Mutter, Vater, Kind. Papa in der Arbeit, Mama von zuhause aus gearbeitet, viel Spaß, Freunde, Liebe, alles was zu einer Musterkindheit dazu gehört. Weiter ging es zu meiner Schulzeit. „Ohoh“, dachte ich, „das würde sicher Ärger geben.“ Ich erzählte davon, dass meine Jugend eigentlich super, ich aber leider ein wenig faul war und daher ziemlich miese Noten hatte. Nichts Ungewöhnliches für einen Teeanger, aber mir war klar, er würde ein Drama darin sehen. Die Frage kam wie erwartet: „Gab es denn vermehrt Probleme in der Familie damals?“ Ich: „Nein, nicht mehr als jeder andere Pubertierende eben auch hat.“ Das Eltern nicht unbedingt in Applaus ausbrechen, wenn ihre Tochter 5er und 6er mit nach Hause bringt, ist wohl eine normale Reaktion. Damit hatten wir dieses Thema erledigt. Weiter ging es mit meiner Ausbildung. Ich erklärte stolz, dass ich als Arzthelferin und MTA sehr zielstrebig war und ein ziemlich gutes Examen ablieferte. Daraufhin er: „Wurden Sie etwa von ihren Eltern unter Druck gesetzt, gute Noten abzuliefern?“ Ich gab auf.
Das ist nur eines weniger Beispiele, wie diese Termine abliefen und der Psychoanalytiker war noch eher auf der amüsanten Seite zu finden. Mit der Krankenkasse lief und läuft es ähnlich. Nur ist eines der größten Probleme hier wohl, dass dort Zugriff auf diverse Diagnoseschlüssel vorliegen, was dem MDK die Möglichkeit gibt sich auf eindeutige Fehldiagnosen aus den frühen Jahren meiner Erkrankung zu stützen. Diese F-Diagnosen hatte ich schon völlig vergessen. Nie hätte ich erwartet, dass man sich noch darauf berufen könnte, denn seit Jahren waren meine 20 körperlichen Erkrankungen klar dokumentiert und nicht abzustreiten. Und trotz diversen Schäden beruft man sich immer wieder darauf, die Ursache für die vielen Beschwerden könne doch auch in der Psyche zu finden sein. Wieso also nicht erst einmal eine psychiatrische Behandlung versuchen, bevor man die Halswirbelsäule operieren würde. Wie die darauf kommen? Ich habe keinen blassen Schimmer.
Ich könnte Dutzende dieser Geschichten erzählen und sie enden alle gleich. Ich, am Boden zerstört, sauer, traurig und teilweise sogar apathisch, unfähig mich immer wieder den selben Problemen zu stellen. Es dauert einige Wochen, ich rapple mich wieder auf und fange von vorne an. Und dann, als ich kurz vor dem Aufgeben stand, gewann ich die Klage und damit die Rente nach drei Jahren. Doch auch das ist nur ein halber Sieg, denn zu jedem Zeitpunkt kann all das wieder von vorne beginnen…
Persönliche Anmerkung:
Ich habe diesen Blog-Post aufgrund der lieben Bitte einer EDS-Betroffenen angefertigt und wollte ihn eigentlich im Podcast vorlesen, aber habe es einfach nicht geschafft. Ich merke immer wieder, wie tief der Schmerz der letzten Jahre noch sitzt und wie meine Stimme bricht wenn ich darüber spreche. Durch diese Erfahrungen habe ich gelernt, dass nicht die Folgen des Ehlers-Danlos-Syndrom meine größte Hürde sind. Nein, viel mehr die Probleme im sozialen Bereich, mit Ämtern, Kassen und dem verständnislosen Umfeld.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!