Diagnosensuche mit über 60 Jahren
von Ulrike Walder
Meine Geschichte beginnt mit meinen frühesten Erinnerungen. Ich konnte nicht schaukeln oder Autofahren, da wurde mir immer schlecht. Da es meiner Mutter genauso ging, hatten wir kein Auto. Stattdessen bekam meine Mutter ein Haus mit Garten und wir Kinder (ein älterer Bruder) litten keine materielle Not. Leider war meine Mutter eigentlich zu krank für Kinder, sie wurde Alkoholikerin und zeitlebens medikamentensüchtig.
So waren wir Kinder früh auf uns selbst gestellt. Mein Bruder zog sich zurück, ich übernahm schon mit elf Jahren die Verantwortung für den Haushalt. Wir hatten genug Intelligenz mitbekommen, so dass wir beide Abitur gemacht haben. Die schlechten Noten im Sport wurden beim Numerus Clausus nicht angerechnet, ich habe Medizin studiert und mein Bruder Physik.
Die Schwäche in der oberen Körperhälfte konnte ich gut verstecken. Ich lernte meinen Mann kennen (auch Arzt) und wir wurden sehr schnell ein Paar und durch die Hormonstörung bei mir auch sehr schnell werdende Eltern. (Ich vertrug die Pille nicht, so ist es mir zeitlebens mit dutzenden von Medikamenten gegangen). Die Schwangerschaft 1977 verlief problemlos, unser Sohn wurde geboren und bis auf Wundheilungsstörungen beim Dammschnitt gab es keine Störungen. Die begannen dann bei dem Versuch, dem Sohn noch ein Geschwisterchen zu geben.
1979 hatte ich in der 16. Woche nach dauernden Blutungen eine Fehlgeburt. 1980 ist dann nach Hormontherapie und mit dauerndem Liegen unter Valium und Partusisten (ein Medikament zur Wehenhemmung) unsere Tochter geboren worden. Sie war sehr schlaff, hat sich aber berappelt. Bis 1982 war ich mit den Kindern zuhause, wollte aber unbedingt als Ärztin arbeiten.
So haben mein Mann und ich 1982 eine eigene Praxis eröffnet. Von Anfang an war der Zulauf zu mir groß, während mein Mann sich mit der männlichen Konkurrenz schwer tat. Als Selbständige kann man ja seinen Arbeitsumfang selber bestimmen. Wir haben nur Vormittags und einen Nachmittag gearbeitet, der Rest der Zeit gehörte den Kindern und Hausbesuchen. Auch der gemeinsame Reitsport wurde ausgeübt, bei mir aber bald mit Rückenschmerzen.
Seit dem Partusisten 1979 hatte ich mit Herzrhythmusstörungen zu kämpfen, wenn es ganz schlimm war, musste ich mich hinsetzen. 1990 bekamen wir einen Hilferuf von meinem Vater, der mit meiner herzkranken und inzwischen dementen Mutter überfordert war. So haben wir dann meine Eltern nach Winsen geholt und sie mitversorgt. Ich hatte mit der Erfahrung von eigenen Kindern inzwischen meinen Frieden mit ihr geschlossen. 1993 ist sie dann im Alter von 76 Jahren an den Folgen ihrer Krankheit und vor allem an den Alkohol- und Medikamentenfolgen gestorben.
In der Zeit ab etwa 1985 stand es um meine Ehe nicht mehr zum Besten. Mein Mann war unfähig zum Reden und ich kam wahrscheinlich als nörgelnde Frau rüber, die man irgendwann nicht mehr ernst nimmt. Ende 1994 gab es in Hamburg die Möglichkeit, Herzrhythmusstörungen per Herzkatheter zu behandeln, und selbst die Tatsache, dass ich an einer inneren Nachblutung beinahe verstorben wäre, konnte unsere Ehe nicht mehr retten. Außerdem hatte ich mit dem amerikanischen Square-Dance angefangen, aber mein Mann wollte nicht mitgehen. So lernte ich dort einen anderen Mann kennen und lieben, sodass ich mich 1996 getrennt habe.
Nun lebe ich schon 20 Jahre in einer sehr erfüllenden Beziehung, 2007 haben wir geheiratet. Das passte meinem Sohn aber gar nicht und deshalb hat er sich zu 99 % von uns zurückgezogen. 1996 zerriss eine Bandscheibe in der Lendenwirbelsäule und ich musste operiert werden, um die abgerissenen Stücke zu entfernen. Das sollte mir 2007 und 2011 noch einmal in der Halswirbelsäule passieren.
Alle diese Beschwerden fand ich selber nicht besonders wichtig, da ich schon weitaus Schlimmeres gesehen hatte. Ich wurde halt kranker und habe mich beruflich und privat darauf einstellen können.
Praktisch schmerzlos und nur durch eierigen Gang aufgefallen, ist meine linke Hüfte so kaputt gegangen, dass ich 2013 eine Prothese bekam. Auch das ging gut, von den Wundheilungsstörungen abgesehen. Bei der Operationsvorbereitung fiel eine Erweiterung der Schlagader zum Herzen auf, die nun beobachtet wird.
Erst im März dieses Jahres kam ein Rheumatologe auf die Idee, dass alle diese Dinge einen inneren Zusammenhang haben könnten. Seitdem bin ich auf der Suche nach Informationen und nach Klärung, da ich meinen Kindern gern eine Diagnose für ihre Kinderplanung geben möchte.
Meine Tochter ist vor allem depressiv, weniger körperlich betroffen, obwohl auch sie eine Reihe von merkwürdigen Diagnosen hat. Meine Mutter war schwer depressiv, mein Bruder, wohl auch betroffen, ist psychisch auffällig.
So bleiben am Ende des Tages immer noch eine Menge Fragen nach den Zusammenhängen übrig. Vielleicht mag mir jemand darauf antworten.
Liebe Ulrike,
Was das medizinische betrifft, kann ich dir schwerlich raten. Da vermagst du, als Medizinerin, die Dinge vermutlich besser beurteilen können als ich.
Allerdings klingt deine Geschichte so unendlich traurig, dass das einzige was mir spontan einfällt eine ganz dicke Umarmung ist.
Mehr kann ich dazu leider nicht sagen.
Vielleicht doch noch ein Satz. Finde trotz allem Elend immer wieder irgendwas, das dir Freude bereitet!
Ganz liebe Grüße und alles erdenklich Gute
Sendet dir
Christine