Warum viele chronisch Kranke Erkältungen fürchten
von Karina Sturm.
Ich stehe in der U-Bahn und links und rechts von mir wird gehustet und geniest. Ich kann förmlich sehen, wie die Viren durch die Luft schleudern. Kaum jemand anderes in der U-Bahn nimmt diese Tatsache überhaupt wahr, ich zwangsläufig schon. Denn ich fürchte mich vor jeder Erkältung, die ich mir einfangen könnte.
Für viele mag das lächerlich klingen und es mag wenig verständlich sein.
Nach dem Bahn fahren desinfiziere ich meine Hände, in der U-Bahn stehe ich möglichst weit weg von anderen und teilweise sage ich Treffen ab, wenn mein Besuch gerade akut krank ist.
Warum?
Ich lebe nun seit einigen Jahren mit mehreren chronischen Erkrankungen, die alle zusammen meinen Körper immer wieder stark schwächen.
Das Ehlers-Danlos-Syndrom selbst führt dazu, dass gehen und jede Form körperlicher Aktivität für mich anstrengend ist.
Durch die Gelenküberbeweglichkeit müssen meine Muskeln doppelt so stark arbeiten, wenn ich laufe und ein kleiner Spaziergang fühlt sich schnell an wie ein Marathonlauf. Häufig fühle ich mich nach „Überanstrengung“ richtig grippig und krank, wobei Überanstrengung hier ein dehnbarer Begriff und ziemlich tagesformabhängig ist. Ich bewege mich mit EDS auf einem schmalen Grad zwischen Belastung und Überlastung und oft ist der Übergang fließend.
Das Mastzellaktivierungssyndrom kommt häufig als komorbide Erkrankung von EDS vor.
In meinem Fall ist MCAS damit verbunden, dass ich auf immer mehr Medikamente, Nahrungsmittel und viele andere Substanzen allergieähnlich reagiere. Meist wird mein Gesicht heiß und rot, mein Blutdruck fällt, mein Herz rast und mir wird sehr schwindlig und benebelt. Viele Umweltfaktoren können dieses Krankheitsbild beeinflussen, wie zum Beispiel Hitze, diverse Nahrungsmittel und virale Erreger. Esse ich die falschen Lebensmittel kann es zu einem akuten Schub kommen, der mich dann mit Magen-Darmproblemen, Krämpfen und massiver Übelkeit für 24 Stunden ins Bett befördert und dessen Nachwirkungen, wie allgemeine körperliche Schwäche, häufig wochenlang anhalten.
Die Medikamente die ich dafür einnehme, halten die Erkrankung in Schach, aber wirken auch nur bedingt.
Durch das EDS hat meine Halswirbelsäule einen ziemlichen Schlag abbekommen.
Meistens fühlt es sich so an, als würde ich einen Stein auf einem Stock balancieren. Verhakt sich die Halswirbelsäule, habe ich viele neurologische Ausfälle, die häufig auch mein vegetatives Nervensystem betreffen.
Und als kleines Schmankerl oben drauf kommt dann noch die Dysautonomie, die leider kein große Fan von Schwerkraft ist. Denn bei meiner Form der Dysautonomie kommt es in aufrechter Körperhaltung zum Absacken des Blutes in die Beine, was dann leider nicht mehr richtig zum Herzen zurücktransportiert werden kann.
Mein autonomes Nervensystem, das für die Steuerung des Blutdrucks zuständig ist, funktioniert nur fehlerhaft.
Das führt dazu, dass mein Blutdruck ständig abfällt, wenn ich längere Zeit stehe. In dem Moment wird mir schwindlig und teilweise schwarz vor Augen und ich handle wie ein Zombie, da auch mein Gehirn nicht die Menge an Sauerstoff bekommt, die es zum Denken bräuchte.
Ein bekannter Spezialist hat einmal in einem Vortrag gesagt, er würde sogar so weit gehen und Dysautonomie-Patienten keine Entscheidungen im Stehen treffen lassen (solange sie nicht gut eingestellt sind mit Medikamenten oder anderen Maßnahmen), denn durch die Unterversorgung mit Sauerstoff ist es extrem schwierig zu fokussieren und einen klaren Gedanken zu fassen.
Nun beeinflusst das Nervensystem, das für meinen Blutdruck zuständig ist, gleichzeitig viele andere Dinge wie Verdauung und Schweißbildung, was dann auch gerne mal dazu führen kann, dass ich wochenlang nichts zu Essen bei mir behalte oder klatschnass bin von Schweißausbrüchen ohne mich zu bewegen. Dysautonomie kann genau wie die Mastzellerkrankung durch viele verschiedene Faktoren verschlechtert werden. In meinem Fall sogar durch eine Kombination mehrerer. Hitze, Kälte, Stress, große Mahlzeiten, Alkohol, meine Halswirbelsäule, die Mastzellerkrankung und auch Viren oder Bakterien können alles aus dem Gleichgewicht bringen.
Nun sind dies nur meine großen Baustellen.
Hinzu kommen ca. zehn andere komorbide Erkrankungen, die ich häufig gar nicht alle im Kopf habe. Einen Zustand zu finden, in dem all diese Erkrankungen einigermaßen kontrollierbar sind und ich mich wohl fühle in meinem Körper, ist Schwerstarbeit. Findet man dann diesen Zustand, nach symptomreichen Wochen, will man ihn um alles auf der Welt beibehalten. Und was dann immer passiert ist folgendes:
Trotz aller erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen erwischt mich ein Infekt und dieses komplette fragile Gerüst bricht auf einen Schlag zusammen.
Stellt euch das wie ein Kartenhaus vor. Jede Karte steht für einen Faktor, der eine der erwähnten Krankheiten beeinflusst (z. B. meine Mastzellmedikamente). Kommt nun auch nur ein kleiner negativer Faktor von außen, wie ein viraler Infekt, bricht dieses komplette Kartenhaus in sich zusammen. Eine Karte bringt die nächste zu Fall und eine Krankheit beeinflusst die nächste negativ.
Viren sind Stress für das Immunsystem – Mastzellen sind Immunzellen. Durch einen Virusinfekt werden die Mastzellen gleichzeitig mit verärgert und drehen durch.
Was bedeutet das für mich?
- Ich habe vermehrt starke Darmbeschwerden und kann praktisch gar keine Lebensmittel tolerieren. Und obwohl ich Nährstoffe und Vitamine gerade in der Zeit eines Infektes bräuchte, ist genau das dann nicht möglich. Der Brain Fog, mit dem ich auch so schon 50 Prozent der Zeit zu tun habe, wird dann zu einem 100 Prozent und die Müdigkeit, die durch die Ausschüttung der Mastzellmediatoren entsteht, bringt mich dazu mehr als zwölf Stunden Schlaf täglich zu brauchen ohne mich danach auch nur im Entferntesten ausgeschlafen und wach zu fühlen.
- Auch die Dysautonomie wird stark durch Viren beeinflusst. Wenn ich an normalen Tagen nach ca. zehn Minuten stehen schwindelig werde, wird mir an Erkältungstagen sobald ich auf den Beinen stehe schwarz vor Augen. Ich spüre mein Herz rasen und kann dadurch nachts nicht schlafen, obwohl mich die Mastzellen eigentlich so müde machen, dass ich nichts lieber tun würde als zu schlafen. Wo mich die Mastzellen müde machen, hält mich die Dysautonomie wach, was im Gegenschluss zu noch mehr Tagesmüdigkeit und Erschöpfung führt, da der Körper keine Regenerationsphasen bekommt. Ironischerweise führt mehr Erschöpfung bei EDS-Patienten oft zu mehr Aktivität des autonomen Nervensystems, was zu mehr Schlaflosigkeit führt. Ein Kreislauf entsteht, der nur schwer zu unterbrechen ist.
- Das viele Liegen führt zu mehr Problemen mit der Halswirbelsäule und anderen Gelenken, denn wo andere Menschen erst nach zwei Wochen Muskeln abbauen, geht das bei EDS sehr viel schneller. D. h. nach einer Erkältung fange ich physiotherapeutisch wieder bei null an, was der Motivation natürlich auch nicht unbedingt zugutekommt. Jedes bisschen hart erarbeiteter Fortschritt ist damit dahin, was auch mental für einen großen Crash sorgt.
Dieses fragile Kartenhaus wieder aufzubauen kann viele Wochen oder sogar Monate dauern;
die Folgen der Erkältung und die Müdigkeit halten immer länger an und schwächen den Körper auch nach durchgestandener Infektion weiter.
Wenn andere sonst gesunde Menschen nach sieben Tagen wieder fit sind, kann ich noch monatelang daran arbeiten wieder an den Punkt zu kommen, an dem ich mich einigermaßen wohl fühle. Habe ich mir diesen Zustand dann wieder hart erarbeitet, kommt meist der nächste Rückschlag…
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