Let’s get real: So war 2020 wirklich für mich.
In den letzten Wochen erreichten mich unzählige liebe Nachrichten von Followern meines Blogs, die oft mit den Worten endeten: “Die Art und Weise, wie du mit deinem Leben und all den chronischen Krankheiten umgehst, ist so inspirierend. Wie machst du das?” Lasst mich mal versuchen, euch einen ungefilterten Einblick zu geben, wie mein Leben in 2020 war (und bis heute ist).
Wie mache ich das nun?
Hauptsächlich mache ich gar nichts Besonderes. Ich bin weder stärker noch schwächer als jede andere chronisch kranke Person. Wie wir alle versuche ich nur, mein Leben so gut wie möglich zu leben. Vergessen wir dabei auch nicht, dass Social Media und Blogs nur eine Momentaufnahme meines Lebens sind. Sie geben einen winzigen Einblick in meine Realität, bei der ich allerdings entscheide, wie ich mich präsentiere. Selbst an den beschissensten Tagen kann ich Makeup auflegen, ein paar schöne Fotos von mir machen und auf Facebook so tun, als wäre ich die glücklichste Version von mir selbst. Niemand weiß wirklich, wie es dem lächelnden Menschen hinter dem Bild geht.
Schauspielern.
Das englische Wort gefällt mir deutlich besser: pretending (so tun als ob; sich verstellen). Ich bin es gewohnt zu pretenden; so zu tun als ob alles in Ordnung ist, um meiner Familie keine Sorgen zu bereiten. Vorzugeben, dass ich keine Schmerzen haben, wenn Freunde spontan an der Haustür auftauchen. Vorzuspielen, dass mein Leben super ist und ich alles unter Kontrolle habe, wann auch immer ich jemanden für einen Artikel interviewe. Wenn ich ehrlich bin, spiele ich in letzter Zeit häufiger etwas vor, als dass ich tatsächlich ich selbst bin.
‘Pretending’ ist tief in meiner Kultur verwurzelt.
Das kennt ihr vermutlich auch. Ich bin in dem Glauben aufgewachsen, dass es schlecht ist, Schwäche zu zeigen. Du zeigst keine Schwäche. Du weinst nicht. Du bittest nie um Hilfe. Du bist die Person, die andere unterstützt, aber du verlangst nie eine Gegenleistung. Du sagst nie nein zu anderen, aber lehnst immer ab, wenn dir jemand Hilfe anbietet. Über die letzten Jahre habe ich gelernt, ab und an Unterstützung anzunehmen. Trotzdem versuche ich immer noch alle Herausforderungen mit mir alleine auszumachen. Ich gebe oft erst dann zu, dass ich eine schwierige Phase hatte, wenn sie schon vorbei ist und es mir wieder gut geht.
Tja, nun hat mich dieser Ansatz 2020 ordentlich in den Hintern getreten. Letztes Jahr war aus ganz vielen Gründen anders als jedes zuvor.
Kein Support System.
Kurz nach dem ersten Lockdown war eigentlich mein Flug nach Deutschland geplant. Normalerweise war ich jedes Jahr für ein paar Monate auf Besuch bei Familie und Freunden. Ich wollte die Connection zu den Menschen, die so wichtig für mein Wohlbefinden sind, nicht verlieren. Doch mit dem Lockdown war mein Flug abgesagt und plötzlich fühlte ich mich wie eingesperrt. Ich konnte nirgends hin; nicht mal meine Freunde auf Distanz sehen, weil ich auf einem Berg wohne und jegliche öffentlichen Verkehrsmitteln während der Pandemie eingestellt wurden. Außerdem hielt ich mich an ein striktes Sicherheitsprotokoll und wollte deshalb auch keinen Uber oder ein Taxi nutzen. So konnte ich also über das letzte Jahr nur Orte erreichen, zu denen ich laufen konnte – ein Radius von rund einer Meile um mein Haus. Zumindest konnte ich Sushi und Wein im lokalen Supermarkt kaufen. Ich freu’ mich über die kleinen Dinge.
Dann kam die Angst.
Holy Shit, ich hatte so gar keine Ahnung, wie stark meine Angst zunehmen kann. Seit ich denken kann, habe ich immer mit Ängsten rund um ‘Kontrollverlust’ zu tun, aber COVID hat mich auf eine ganz andere Ebene katapultiert. Es fing an mit der Angst sich mit COVID zu infizieren und die Ungewissheit, nicht zu wissen was die Konsequenz sein würde. Würde ich sterben? Oder wäre ich ein asymptomatischer Verlauf? Und überhaupt, selbst wenn ich nicht daran sterben würde, wie würde sich der Virus auf alle meine Vorerkrankungen auswirken? Ich hab’ ja schon jedes mal mit meiner jährlichen Erkältung zu kämpfen. Was würde also passieren, wenn ich COVID bekommen würde? Mir schwirrten alle erdenklichen Gedanken im Kopf, aber eine große Angst war: Wie würde ich mit noch mehr Herausforderungen und Einschränkungen umgehen, wenn ich tatsächlich krank werden sollte?
Und das Trauma.
Nachdem sich die anfängliche Angst etwas beruhigt hatte und wir uns an unser ‘neues’ Leben in Isolation gewöhnt hatten, wurde es richtig übel. Erinnerungen an ein lange zurückliegendes Trauma trafen mich völlig unerwartet. Ein Trauma, das ich mein ganzes Leben unterdrückt hatte, an dem ich aber nie wirklich gearbeitet habe. Dass mich diese Altlast plötzlich wieder einholt, damit konnte ich so gar nicht umgehen – für mehr Details bin ich noch nicht bereit. Mittlerweile war ich an einem Punkt angekommen, an dem ich mich so überfordert fühlte, wie nie zuvor, weshalb ich einen Schritt wagte, der mich selbst überraschte: Ich suchte mir eine Therapeutin – in den USA ist man eher ein Aussenseiter, wenn man keinen Therapeuten hat. Das Lustige war, dass mir gar nicht bewusst war, wie viele Baustellen sich in meinem Leben angehäuft hatten, bis ich mich zum ersten Mal jemandem komplett geöffnet habe. Stellt sich heraus: Jahre voller Fehldiagnosen und Ärzte, die einem nicht glauben, haben Spuren hinterlassen und zu einer Art PTBS geführt.
All diese Ängste hatte ich vor der Pandemie größtenteils unter Kontrolle, doch der plötzliche zusätzliche Stress und Kontrollverlust durch COVID hat auf einmal alle Schleusen geöffnet. Plötzlich war wirklich jedes Trauma, das ich irgendwo in mein Unterbewusstsein verbannt habe, wieder da. So sehr ich auch versuchte, alles wieder dahin zurückzuschieben, wo es herkam, es klappte nicht. Und so gab ich auf, beschloss eine Therapie zu starten und ich hab’s bis heute nicht bereut. Jeder der mich kennt weiß was diese Worte bedeuten. Aufgrund der negativen Erfahrungen in Deutschland, vor allem mit falschen psychischen Diagnosen, habe ich eine starke Abneigung gegen Psychologen entwickelt. Ich kann die Berufsgruppe immer noch nicht besonders gut leiden, aber meine Therapeutin ist großartig und hat mich praktisch durch die Pandemie gebracht.
Zusätzlich habe ich in der Pandemie eine Art Null-Bullshit-Policy eingeführt. Ich habe jegliche Filter verloren und angefangen, alles das zu sagen, was mir durch den Kopf schwirrt – eine befreiende Erfahrung.
Cancer Scare.
Wenn 2020 hier aufgehört hätte, wäre das noch OK gewesen, aber das hat’s leider nicht. Mitte 2020 dachte ich, ich würde bald an Bauchspeicheldrüsenkrebs sterben – eine Fehldiagnose. Theoretisch hätte der Spuk nach einer Woche vorbei sein können, aber dank meiner Krankenkasse, die mir das Krebsscreening via MRT abgelehnt hat, musste ich monatelang in Angst leben. Ich habe um das MRT gekämpft, gewonnen und letztlich stellte sich alles als falsche Diagnose heraus. Monate am Telefon mit der Versicherung. Monate, in denen ich fürchtete ich würde meinen 40. Geburtstag nicht erleben.
Ich war erschöpft, hatte Todesangst und alle meine normalen Bewältigungsmechanismen waren weg. Also habe ich angefangen viel zu trinken. Ich habe stark zugenommen, viel gegessen. Darauf bin ich nicht besonders stolz. Ich habe versucht weiterhin meine Routine aufrechtzuerhalten, bin viel spazieren gegangen und habe Artikel geschrieben, aber so richtig konnte ich mich auf nichts konzentrieren. Alles dauerte länger als gewöhnlich. Artikel schreiben, E-Mails beantworten – irgendwie war plötzlich alles anstrengend. Meine Gesundheit habe ich größtenteils vernachlässigt. Schreiben half, Therapie half, Wandern half. Trotzdem war es nach wie vor schwer die ganze Situation zu ertragen. Ich fühlte mich wie ein große Bürde für meine Freunde, weil ich plötzlich so viele Bedürfnisse hatte. Und ich war nicht mehr die Badass Karina, die immer wieder aufsteht, wenn sie fällt. Ich war an einem Tiefpunkt und fühlte mich als würde ich ertrinken.
Trauer.
Zusätzlich habe ich Menschen verloren, die mir wahnsinnig wichtig waren, mit engen Freunden über Masken oder COVID-Regeln diskutiert und mich insgesamt sehr über viele Menschen geärgert, die sich so fahrlässig in Bezug auf COVID verhalten haben. Meine strikte Isolation konnten sie nicht verstehen und ständig wurde mir gesagt, ich solle aufhören in Angst zu leben. Viele meiner gesunden Freunde konnten nicht nachvollziehen, wie ernst COVID für meine und die Gesundheit meiner Community war, und Worte schienen nicht genug zu sein, um meine Situation zu erklären. Ich fühlte mich einsam, aber konnte nichts daran ändern. Mein Bedürfnis nach Sicherheit war größer als mein Bedürfnis nach einer Umarmung.
Impfungen.
Dann kamen die Impfstoffe und gleichzeitig erfuhr ich, dass ich die USA in wenigen Monaten verlassen muss. Stress. Ich fühlte mich nicht besonders wohl bei dem Gedanken umgeimpft 14 Stunden international zu fliegen. Aber ich hatte keine Wahl. Durch Zufall und die Unterstützung der lokalen Disability Community bekam ich meine erste Impfung. Und wieder war da die Angst. Die Angst, dass ich keine Antikörper bilde oder dass ich seltsam reagiere, was so oft zuvor bei allerlei Medikamenten passiert ist. Aber alles ging gut. Eine Woche später kam heraus, dass einige Tage nach meinem Impftermin Tausende von Menschen aufgrund von “Human Error” eine zu geringe Dosis des Impfstoffs erhielten. Hallo, Angst. Schön, dass du wieder da bist.
Fuck CCI.
In der Zwischenzeit verschlechterten sich meine Wirbelsäulenprobleme. Meine Arme kribbeln und schmerzen die ganze Zeit. Immer wenn ich meine Arme irgendwie belaste, fangen sie an zu zittern. Sie werden schwächer und schwächer, und jedes Mal, wenn ich mich bewege oder nur eine Meile gehe, brennt mein Nacken und der Schmerz lässt mich in Tränen ausbrechen. Neuropathischer Schmerz ist eine Bitch und spricht kaum auf Medikamente an. Das, zusammen mit dem Wissen, dass ich in Zukunft keinen Zugang zu Experten mehr haben werde, bringt die Shitshow auf ein neues Level.
What the fuck is happening?
Gerade manage ich also einen internationalen Umzug, meine journalistische Arbeit und die Suche nach einem neuen medizinischen Team in schon wieder einem anderen Land, während ich mit Angstzuständen, Traumata, Trauer, mittelschweren bis starken Schmerzen und was auch immer für neue Herausforderungen auftauchen, umgehe. In letzter Zeit scheint es jeden Tag etwas Neues zu geben.
Das ist also der Punkt, an dem ich gerade bin.
Ich bin nicht stark. Ich bin kein Badass. Ich cope mit der Situation nicht besser als jeder andere. Aber irgendwie komm’ ich zurecht. Auf meine Weise. Ich überlebe so gut ich kann. Wenn ihr also das Gefühl habt, dass andere Menschen besser mit dieser Situation umgehen als ihr, das ist bullshit. Jeder von uns tut das, was er tun muss, um sich irgendwie über Wasser zu halten. Wir alle geben unser Bestes.
Was ich von 2020 gelernt habe, ist, dass ich viel stärker bin, als ich jemals gedacht hätte; Ich habe keine Energie mehr, um irgendwas vorzutäuschen. Ich muss meine Verwundbarkeit nicht verbergen, weil es nichts schlechtes ist, verwundbar zu sein. Ich kann Gefühle nicht unterdrücken, weil sie immer wieder zurückkommen und mir später mit voller Wucht in den Hintern treten. Und vor allem habe ich gelernt, dass es in Ordnung ist, eine fucking Shitshow zu sein, weil die Leute, die mich wirklich lieben, verstehen und mich unterstützen, egal welche Version von mir selbst ich gerade bin. Und: Wir haben 2020 überlebt, also wie viel schlimmer kann es werden?
Ich teile diesen Text nicht, weil ich bemitleidet werden möchte – Gosh, bitte nicht; Ich hasse Mitleid – aber ich hatte das Gefühl, dass es an der Zeit ist mal klare Worte dafür zu finden, dass wir alle straucheln. Ich strauchle. 2020 hat mich echt in die Knie gezwungen, aber am Ende bin ich trotzdem irgendwie wieder aufgestanden. Ich bin hier und ich fühle mich jeden Tag wieder ein bisschen mehr wie die alte Karina. Und come on, mit einer chronischen Krankheit durch eine Pandemie zu leben, ist halt wirklich ganz schön scheiße. Unsere Krankheiten interessieren sich nicht dafür, dass wir eine schwere Zeit durchmachen. Wir stehen vor all diesen Problemen und zusätzlich kommt COVID noch oben drauf. Das ist überwältigend und unfair. Aber es ist, wie es eben ist.
Wir alle gehen auf unterschiedliche Weise mit diesem Stress um, und ich glaube nicht, dass es bestimmte Regeln gibt, wie man das am Besten macht, bei all dem Mist, mit dem 2020 uns beworfen hat. Wenn ihr mit der Pandemie nicht gut umgehen könnt, seid ihr vermutlich in guter Gesellschaft. Ihr müsst nur mich anschauen. Keiner von uns sollte sich dafür schämen müssen, wie wir copen. Und lasst euch eines von einer Person sagen, die vor 2020 eigentlich ziemlich happy war: Shit happens. Wir geben alle unser Bestes. Ihr seid alle Kämpfer. Ihr seid alle badass. Und wie ein enge Freundin kürzlich sagte: “It isn’t too bad to reach rock bottom. At least you stand on solid ground.” Es kann von nun an also nur noch Bergauf gehen.
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