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Als der Wolf in mir wuchs – Meine Geschichte vom Lupus


von Wiebke Klein.

Bereits mit 12 Jahren war ich erkrankt. 

Es begann alles mit einem knallroten Kopf, dem klassischen Schmetterlingserythem, das für länger als ein halbes Jahr lang täglich in voller Pracht in meinem Gesicht zu sehen war. Einige Mitschüler machten sich über mich und mein rotes Gesicht lustig, woraufhin ich versuchte es in die Kälte zu strecken, gerade im Winter. Das half etwas und die Rötung wurde ein bisschen weniger. 

Die Jahre vergingen und der Wolf in mir wurde stärker und stärker. 

Ich verlor zunehmend die Klarheit in meiner Wahrnehmung, Missempfindungen am Kopf und dann der linken Gesichtshälfte entstanden und zum Schluss war der Arm auch noch betroffen. Meine Augen begannen sich teilweise von ganz alleine zu bewegen und mir wurde dadurch häufig übel. Ich wurde immer müder und die Schmerzen wurden unerträglich. 

Mit der Zeit konnte ich in der Schule kaum noch aufrecht sitzen. Keiner wusste, was mit mir nicht stimmte. Ich hatte mittlerweile tägliche Schwächeanfälle. Diese dauerten ungefähr acht Stunden und waren das Schlimmste, das ich jemals erlebt hatte. Wenn ich mich vor etwas fürchte, dann davor, dass ich, auch heute noch, einen dieser enormen Schwächeanfälle durchstehen muss. 

Fatigue setzt ein. 

Es war, als würde mir alle Energie entzogen werden. Ich kann nichts dagegen tun, ich bin ausgeliefert. Dann liege ich da und hoffe, dass es bald vorbei geht. Ich hoffe, dass ich einfach einschlafen kann und nichts davon mitbekommen muss. Nur leider ist Fatigue keine wohlige „Schlafmüdigkeit“. Es ist eine quälende Müdigkeit, die alles außer Kraft setzt, aber vom Schlafen ist man weit entfernt. Meine Fatigue kann mich quälen und macht den Schmerzen eine enorme Konkurrenz. Einmal, als ich noch nicht wusste, was das ist, lag ich einfach da und hoffte, dass ich nicht sterbe. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass mein Körper diese enorme Kraftlosigkeit ertragen kann. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie all die lebenswichtigen Körperfunktionen aufrechterhalten werden sollten. Wo sollte denn die Energie dafür herkommen? Wenn ich dann wieder aufwachte, war ich froh, denn das hieß, dass ich es (wieder) überlebt hatte. So ging das jeden Tag.

Lupus Krankheit - 5 Jahre Lebenserwartung?! - Meine Lupus Diagnosestory

Klassische Symptome, doch keiner glaubt mir.

Irgendwann kamen dann die Schmerzen. Fieber setzte ein und mein gesamter Körper war voller rotem Ausschlag. Meine Gelenke waren geschwollen und ich lag entkräftet da. Nach Monaten Wartezeit wurde ich ins Krankenhaus aufgenommen. Und wieder erzählte man mir, dass alles okay sei. Alle Befunde negativ. Ich  sollte entlassen werden, mit einem Zettel, der allen anderen Ärzten mitteilte, dass das psychologische Gutachten ergab, dass ich zu stark auf mein Inneres höre und mich zu sehr schone. Na, danke. Ich weinte und wusste nicht, was ich noch tun sollte, damit man mir glauben würde. Ich wusste nicht, wer mir noch helfen könnte. 

Endlich! Der Wolf hat einen Namen! Lupus! 

Zum Entlassungsgespräch brachten meine Eltern Blutbefunde von meinem Kinderarzt mit. Dort zu sehen waren positive Autoantikörper. Plötzlich änderte sich alles. Ich wurde von dem nicht ernst zu nehmenden Mädchen zu einem glaubhaften Patienten. Mir wurde Blut abgenommen und ich wurde nach Hause geschickt. 

Geburtstagsüberraschung.

Kurz vor meinem 16. Geburtstag kam der Arztbrief. Dort stand, neben dem falschen psychologischen Gutachten, schließlich „Verdacht auf einlaufendes SLE“. SLE steht für systemischer Lupus erythematodes. Damals hatte ich keine Ahnung, was SLE sein soll und gab alles bei Google ein und fand eine Seite, die sagte, dass die Lebenserwartung bei SLE bei fünf Jahren liegt. Ich hatte Ferien, war alleine zu Hause, glaubte nur noch fünf Jahre zu leben zu haben. Ich hatte Angst. Ich rief meine Mama an. Sie beruhigte mich. Ich legte auf und weinte. 

Das Beste herausholen. 

Ich begann zu überlegen, was ich mit den Jahren, die ich noch hatte, anfangen könnte. Abi? Vielleicht ein bisschen studieren? Ich wollte unbedingt einmal wissen, wie es ist zu studieren. Das war meine Motivation. Es gibt so viele letzte Wünsche, aber meiner war dieser. Ich hatte ab dieser Zeit oft Panikattacken, große Angst und wusste nicht, wie es weitergehen soll. Ich versuchte, nach vorne zu schauen und die Jahre so gut es geht zu nutzen. Ich wollte nicht aufgeben.

Endlich ein paar Antworten.

Einige Monate später hatte ich meinen ersten Termin in der Rheumaambulanz. Viel zu spät für das, was inzwischen geschehen war. Ich traute mich nie zu fragen, ob das mit den fünf Jahren stimmte, doch durch Zufall sagte der Arzt mir, dass das vor einigen Jahren vielleicht noch so war, aber nicht mehr heute. Die Prognose bei SLE hängt entscheidend von der jeweiligen Organbeteiligung ab und heutzutage ist die Krankheit gut zu kontrollieren, sodass Lupusbetroffene eine annähernd normale Lebenserwartung haben. In meinem Fall wurde der systemische Lupus erythematodes mit zentraler Beteiligung diagnostiziert. Zentrale Beteiligung bedeutet, dass der Wolf in meinem Nervensystem sitzt, also Gehirn und Nerven anfrisst.

Die Angst der letzten Jahre ist tief verankert.

Ich versuchte meine Panikattacken alleine in den Griff zu bekommen, indem ich immer wieder kleine Abschnitte über die Krankheit gelesen habe und wenn ich merkte, dass ich es nicht mehr aushalte, habe ich aufgehört und gewartet, bis ich wieder bereit war, mich damit erneut auseinanderzusetzen. Und so ging das eine ganze Weile, bis ich keine Panikattacken mehr hatte. 

Mit der Diagnose beginnt der lange Weg erst.

Im September 2013 wurde ich auf Medikamente eingestellt. Vier Jahre und viele Blutabnahmen, Lumbalpunktionen und eine Menge hochdosierte Cortisonstoßtherapien später, waren meine Medikamente so gut eingestellt, dass es mir annähernd gut ging. Ich war die erste Minderjährige, die auf ein Medikament eingestellt wurde, das erst ab 18 Jahren zugelassen war. Und auch heute hilft es mir immer noch gut.

Trotz meiner Symptome studiere ich mittlerweile. Ich fand Wege, mein Leben zu genießen und auch wenn es manchmal schwierig ist, gebe ich nie auf. Mein Kampf mit meinem Wolf wird nie aufhören, doch bislang habe ich noch immer gewonnen. Und das wird auch in der Zukunft so weitergehen.

2 Kommentare
  1. Julia Diederich sagte:

    Liebe Wiebke, Leidensgenossin…
    ich bin sehr beeindruckt von Deiner Stärke, wie du mit Lupus umgehst. Toll, dass du trotz, oder gerade, jetzt Medizin studierst, ist großartig. Bei mir fing das ganze mit dem Wolf auch mit 12 Jahren an. Leider habe ich erst mit 44 Jahren erfahren, dass all meine Probleme aufgrund des Lupus waren, leider alles viel zu spät diagnostiziert. Und ich rannte wie du von A-bis Z zu Ärzten, die mich nicht ernst nahmen. Schließlich bin ich einem Arzt begegnet, der mal meine Hormonwerte checkte. Und siehe da: eine relative Östrogendominanz. Nun bist du aber noch nicht in dem Alter wo ein Progesteronmangel auftaucht, aber lass doch mal deine Hormonwerte überprüfen. eventuell könnte eine auf der Yamswurzel basierende Progesteroncreme helfen. Seit ich diese Creme benutze, sind alle Beschwerden ( heftige Gelenkschmerzen, Müdigkeit, starke Migräne usw…) deutlich zurück gegangen. Ich konnte darauf hin auch die Immunsuppresion und das Cortison weg lassen. Was für ein Erfolg. Den wünsche ich Dir auch. herzliche Grüße Julia Diederich

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    • karinabutterfly sagte:

      Hallo Julia,

      danke für deinen netten Kommentar. Ich hoffe Wiebke findet ihn hier. Aus rechtlichen Gründen möchte ich noch gerne anmerken, dass wir hier alle keine Mediziner sind und deshalb jeder Vorschlag zu Therapien nur als eigene Erfahrung zu sehen ist – nicht als ärztlicher Rat.

      Gruß,

      Karina

      Antworten

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