Ein offener Brief – Erwerbsunfähigkeit in den Endzwanzigern
von Christopher Feiertag.
Ich hoffe, wer immer das liest, verzeiht mir, wenn ich mich direkt an Frau Sturm richte und nicht an den Leser. Ähnlich zu ihrem Fall war es bei mir mit 28 Jahren so weit, dass das Thema „Erwerbsunfähigkeit“ immer mehr zur Tatsache wurde. Allgemein war ich von den Parallelen in unseren Biografien erstaunt. Ich habe viele Schilderungen aus dem eigenen Erleben wiedererkannt.
Zum Verständnis, kurz zur Krankheitsgeschichte: Bei mir liegt eine Spina bifida (Meningomyelocele) in Verbindung mit einem Hydrocephalus vor. Aus heutiger Sicht, eine häufige Diagnose, deren Verlauf und Auswirkungen auf das Leben klar zu umreißen sind. Wir sind annähernd im selben Alter, und aufgrund dessen wurde mein Befund noch vor der Wiedervereinigung gestellt. Zu der Zeit war dieses Untersuchungsergebnis ein Sonderfall, zumindest bei uns in Ostdeutschland.
Die Auswirkungen des Handicaps habe ich, bedingt durch den Krankheitsverlauf, vom Anbeginn meines Lebens registriert (Therapien, Operationen, Schmerzen,…). Dank eines extrem unterstützenden Elternhauses, waren alle Mittel in die Wege geleitet worden, um mir darüber hinaus ein annähernd normales Aufwachsen zu ermöglichen (Kindheit, Schule, Ausbildung).
Es zeigten sich früh auf dem Lebensweg verstandesmäßige Einschränkungen, bedingt durch den Wasserkopf (Konzentrationsstörungen, logisches Denken, räumliches Vorstellungsvermögen). Diese erwiesen sich beim Erreichen des Lernziels im Regelfall als Hürde. Gleichzeitig war ich in das jeweilige soziale Umfeld in meiner Schulzeit maximal gut integriert.
Als die Ausbildung anfing, änderten sich die Gegebenheiten frappierend, da ich zu der Zeit Opfer von schwerem Mobbing geworden war. Ziel der Schikane war mit schöner Regelmäßigkeit der Mangel an gewissen Lebenserfahrungen (Liebe oder Sex) und meine Naivität. Dieser Sachverhalt, der sich über mehrere Jahre erstreckte, führte mich in die Depression, der ich bis heute nicht entkomme. Hinzu kam, dass ein Kerl mit Handicap, der darüber hinaus hochsensibel ist, von der Damenwelt jederzeit wieder in die Friendzone abgeschoben wird, was unheimlich frustriert.
Jetzt bin ich, nach Jahren des Ringens mit mir, den Schritt gegangen und habe mich der Realität gestellt, die derart aussieht, dass eine Erwerbstätigkeit mit diesem Leistungsvermögen nicht vereinbar ist. Der Weg zur Erwerbsminderungsrente war, abgesehen von einem überflüssigen Klinikaufenthalt, reibungslos. Heute bin ich, wie Sie, ein Mensch in der Blüte seiner Jahre, der eine natürliche Veranlagung zum Schreiben besitzt, es jedoch nicht geschafft hat, damit Etwas anzufangen.
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