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Rente mit 28 – War das schon alles? Nein!

von Karina Sturm.

Rentnerin mit 28 Jahren und jetzt auf den Tod warten? Soll es das schon gewesen sein? Nein, das war mir einfach zu wenig im Leben. Auf der anderen Seite kannte ich meinen Körper und meine Limitierungen und wusste, viele Optionen für ein Weiterkommen gab es nicht mehr. In meinem alten Beruf zu arbeiten war ausgeschlossen und auch ein konventionelles Studium wäre nicht möglich. Ist man allerdings nicht auf ein Land beschränkt, gibt es mittlerweile unzählige Fernstudiengänge. Ich nahm mir also sechs Monate Zeit, um mich ausschließlich damit zu beschäftigen, einen für mich passenden Studiengang, in dem Bereich zu finden, der mich interessierte: Journalismus.

Schon eine Weile schreibe ich Artikel für Zeitschriften und Blogs, und damit war ein Journalismus-Studium die logische Konsequenz. Obwohl die ganze Welt offen stand, gab es nur einen Einzigen, der mit meinen Einschränkungen machbar erschien. Ein Master-Degree an einer Uni in Schottland, der flexibel auf vier Jahre auszudehnen war und der mir erlaubte, komplett von Zuhause aus zu studieren. „Perfekt“, dachte ich mir. Die Uni teilte mir mit, dass nicht mehr als zwei Stunden tägliche Lernzeit auf mich zukämen. Das klang doch super. Nun habe ich keinen Bachelor-Abschluss, dennoch gab es die Möglichkeit meine sechs Jahre medizinische Ausbildung und berufliche Erfahrung einem Bachelor gleichstellen zu lassen. Ob ich dafür gut genug war, wusste ich nicht. Trotzdem wollte ich es versuchen. Ich konnte ja nur gewinnen, nicht verlieren.

Kurzerhand schrieb ich die Studienleitung an, die mir erklärte, dass ich meine Zeugnisse übersetzen lassen, 3-4 Empfehlungsschreiben einreichen und ein Motivationsschreiben in Englisch erstellen müsse. Zusätzlich würde ich einen akademischen Englischtest mit hoher Punktzahl bestehen müssen. Au weia. Schnell war ich nicht mehr so überzeugt von meiner Idee. Auf der anderen Seite hatte ich sicher die ein oder andere Lebenserfahrung, die meinen Kollegen vielleicht fehlen würde? Ich war hin- und hergerissen, aber der Drang nach „mehr“, einem neuen Sinn im Leben, war größer.

Seit ich krank wurde (2010) habe ich mich selten so glücklich gefühlt, wie in den Momenten, in denen ich einen Blogbeitrag, einen Artikel oder sonst etwas veröffentlicht hatte. Und wer weiß, vielleicht könnte mir ein solches Studium die Möglichkeit geben von Zuhause aus etwas dazu zu verdienen? Es war nahezu ausgeschlossen, dass ich jemals wieder in meinem alten Beruf als MTLA zurückkehren würde, aber einen Artikel im Monat vom Sofa aus zu schreiben, das war realistischer.

Nun hieß es: Empfehlungsschreiben auftreiben. Da ich über die letzten Jahre ein paar Kontakte in der Medienwelt knüpfen konnte, bat ich zehn liebe Menschen, aus ganz unterschiedlichen Feldern, um ein kurzes Schreiben. Zu meiner Überraschung bekam ich wirklich von allen eine Zusage für das Schreiben und nach wenigen Wochen hatte ich meine Unterlagen beisammen. Die Bewerbung für den Studiengang ging mir leicht von der Hand. Warum ich Journalistin werden wollte? Das war einfach: Ich liebe es zu recherchieren, ich liebe Fakten und ich könnte mein Medizinwissen nutzen und mit Schicksalen von anderen Menschen verknüpfen und gleichzeitig mehrere Medizinthemen beleuchten. Große Chancen rechnete ich mir nicht aus. Schließlich fehlte mir trotz allem der akademische Abschluss. Während ich auf die Ablehnung wartete, fing ich schon mal an mit dem Englischlernen. Denn ich wusste, falls ich eine Zusage bekommen sollte, wäre die Zeit zu knapp, um mich adäquat auf den Test vorzubereiten.

Die meisten Webseiten schreiben, dass ca. drei Monate intensives Lernen ausreichen, um den TOEFL (akademischer Englisch-Test) gut zu bestehen. Doch das galt für Menschen, die sechs Stunden täglich lernen konnten – was nicht auf mich zutraf. Ich würde mindestens die doppelte Zeit brauchen. Da es mir sowieso nicht schaden konnte mein Englisch weiter zu verbessern, deckte ich mich mit sämtlichem Material ein, dass ich über Amazon bekommen konnte und machte eben jeden Tag was ich konnte. Als chronisch Kranker etwas zu leisten, das geht schon, nur muss alles so viel besser geplant sein… Und manchmal hat man diese Zeit eben nicht. Ein Kurs fiel für mich aus. Vier Tage die Woche für sechs Stunden täglich in einem unbequemen Holzstuhl zu sitzen – ein No-Go. Wenn ich heute auf meine ersten englischen Sätze zurückblicke, fällt schon auf, wie weit ich es geschafft habe. Würde das für einen akademischen Test reichen? Keine Ahnung.

Einige Monate später erhielt ich die Zusage für den Studiengang und fiel aus allen Wolken. Sollte dieser Traum wirklich in Erfüllung gehen? Es gab nur eine Bedingung: 88 von 120 Punkten im TOEFL, mit einer Höchstpunktzahl im Sprechteil, der mir die größten Probleme bereitete, weil man in sehr kurzer Zeit Ideen generieren und logisch ausbauen musste. Mein Kopf streikte bei allen Aufgaben die Zeitdruck bedeuteten. Ich beschloss mir für diese Aufgabe einen privaten Lehrer zu besorgen. Eine andere Option hatte ich nicht. Entweder alleine Zuhause lernen, oder an einem Kurs teilnehmen. Letzteres war nicht drin. Leider ist das etwas, das viele chronisch Kranken kennen: Wollen sie etwas erreichen, müssen sie oft deutlich mehr Geld investieren als andere, nicht kranke Leute. Das gilt auch für Transportmittel, Hilfsmittel, medizinische Leistungen und vieles mehr. Aber jetzt wollte ich endlich etwas nur für mich alleine haben. Und dieses Studium war genau das: Die eine Sache, die nichts mit Krankheit zu tun hatte. Mein privater Tutor war großartig! Nicht nur half er mir mit meiner Sprechleistung, er war zudem der wohl größte Optimist den ich jemals kennenlernte. Zusätzlich zum Lernen beantragte ich bei der Teststelle einige Gleichstellungshilfen für Menschen mit Behinderungen. Mit einem ärztlichen Attest lassen sich so z. B. die Zeit verlängern, und mehr Pinkelpausen erlauben. Diese zusätzlichen Hilfen waren zwingend notwendig für mich. Mein Kopf arbeitet einfach nicht mehr so schnell.

Und da war er auch schon: Testtag! Einen einzigen Tag für wenige Stunden hätte mein Körper funktionieren sollen. Nur einen Tag! Ich hatte sogar extra organisiert, dass ich nicht in unserer Wohnung schlafen musste, um den laut feiernden Nachbarn zu entkommen – alles perfekt geplant, um mir den möglichst besten Schlaf zu gönnen. Aber wie es wohl immer ist, hatte ich mir am Tag vorher irgendeinen Virus eingefangen und mein Magen-Darm-Trakt war komplett durch den Wind. Ich war kreidebleich und konnte mich kaum konzentrieren. Aber da musste ich jetzt durch. Nach dem Test konnte ich mich nicht mal mehr daran erinnern, wie die Fragen lauteten, oder was ich geantwortet hatte, aber ich hatte kein gutes Gefühl beim Sprechteil. Die nächsten zwei Wochen würde ich auf das Ergebnis warten und nervös jeden Tag das Online-Profil checken.

Als nach zehn Tagen die Ergebnisse online standen, konnte ich mir ein irres Lachen nicht verkneifen. Ich hatte 119 von 120 Punkten! Ich glaube, so stolz war ich lange nicht mehr. In den letzten sieben Jahren habe ich nichts geleistet, was vergleichbar war. Nichts, was beinhaltete auf den Punkt zu funktionieren und im direkten Vergleich mit Menschen zu stehen, die nicht krank waren. Das hat mir gezeigt, dass ich immer noch vieles schaffen kann, ich muss mich einfach nur sehr anstrengen – Englisch lernen hing mir wirklich zum Hals heraus nach sechs ganzen Monaten. Ja, es sind immer nur zwei Stunden, aber wenn man bedenkt, dass zwei Stunden meine täglichen Energiereserven aufbrauchen und ich damit in den ganzen Monaten nicht viel anderes als Englisch gemacht habe, kann man vielleicht verstehen, warum ich ich froh war, den Test hinter mir zu haben.

Jetzt stand die größte Hürde bevor: Das Einholen der Erlaubnis der Rentenversicherung. Trotz einem Attest meiner Hausärztin, das besagte, dass ich gar nicht im Stande wäre mehr als zwei Stunden täglich zu leisten, und einem Schreiben der Uni, das bestätigte, man könne dieses Studium mit weniger als zwei Stunden täglicher Arbeit absolvieren, befürchtete ich, man würde mir verbieten dieses anzutreten. Denn sollte die Rente denken, mein Zustand hätte sich verbessert, könnte argumentiert werden, dass ich dann ja auch arbeiten könne. Nun wissen wir alle, dass das EDS meist progressiv verläuft und eher mehr, als weniger Probleme auftreten, aber die Erfahrungen der Vergangenheit haben leider gezeigt, dass meine Erkrankungen wenig anerkannt wurden und daher fieberte ich wochenlang auf eine Antwort hin. Dann, drei Wochen später: Die Erlaubnis! Ich fiel fast aus dem Stuhl vor Erleichterung!

Und das heißt: Ab Januar bin ich offiziell im Programm: „Master of international Journalism“. Im Leben hätte ich vor sieben Jahren nicht gedacht, wo ich heute stehen würde. Aber hier bin ich. Chronisch krank, Rentner, um jeden guten Tag kämpfend und jetzt bald Journalismus-Studentin. Ob ich das schaffe, steht in den Sternen! Leider verschlechtert sich mein Zustand stetig, aber ich muss es zumindest versuchen! Scheitern kann ich dann immer noch. Mir reicht diese klitzekleine Chance auf noch ein bisschen mehr in meinem Leben. Die ergreife ich jetzt und schaue wo sie mich hinführt.

6 Kommentare
  1. Patricia sagte:

    Genial!
    Das hast du dir sowas von verdient, hart erarbeitet und würden wir uns persönlich kennen, würde ich wohl sagen: ich bin stolz auf dich!
    So sage ich: meinen herzlichsten Glückwunsch für diesen Erfolg!
    Mach weiter so!

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    • karinabutterfly sagte:

      Danke Dir. Das ist lieb. :) Ich bin auch ein bisschen stolz. Jetzt muss ichs nur noch wirklich abschließen können. Das macht mir noch ein wenig Sorgen.

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  2. Sabine Erkau sagte:

    Liebe Karina,
    ich war heute nach längerer Zeit mal wieder auf deiner Seite und habe mich gerade mega über die Neuigkeiten gefreut! Herzlichen Glückwunsch zu deinem Studienplatz!
    Trotz allem hast du soviel Mut und Energie, deinen Weg zu machen, das ist wunderbar und hoffentlich inspirierend für andere…
    Ich wünsche dir alles Gute und danke dir, dass du deine Erfahrungen mit uns teilst.
    Sabine

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    • karinabutterfly sagte:

      Hallo liebe Sabine,
      danke Dir für die netten Worte! Genau solche lieben Kommentare geben mir die Kraft weiter zu machen!
      Gruß,
      Karina

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  3. Patrick Imfeld sagte:

    Liebe Karina

    Herzliche Gratulation und Hut ab!! Ich freue mich für dich und mit dir. Grossartig, was du da geleistet hast!
    Deine Beiträge sind übrigens bereits heute schon auf hohem journalistischem Niveau, ich lese sie jeweils mit grossem Interesse.

    Ich wünsche dir einen guten Start und viel Erfolg!

    Gruss aus der Schweiz ?
    Patrick

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